Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Statthaftigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde. Außerordentlicher Rechtsbehelf. Rechtsmittelklarheit. Verzögerte Bearbeitung. Verzögerungsrüge
Leitsatz (amtlich)
Eine Untätigkeitsbeschwerde ist nicht etwa deshalb unzulässig, weil es dafür (noch) keine gesetzliche Rechtsgrundlage gibt. Ausnahmsweise ist eine Untätigkeitsbeschwerde dann statthaft, wenn das Ausgangsgericht die aktuelle Bearbeitung des Verfahrens ohne sachlichen Grund verzögert oder gar verweigert (Anschluss an OLG Frankfurt vom 9.6.2011 - 1 W 30/11).
Normenkette
SGG § 172 Abs. 1; GVG § 198 Abs. 3
Tenor
Die Untätigkeitsbeschwerde des Klägers und Beschwerdeführers vom 24. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Das vorliegende Verfahren betrifft eine Untätigkeitsbeschwerde.
Der Kläger hat am 24. Oktober 2011 zu dem bei dem Sozialgericht Kassel anhängigen Verfahren - S 5 KR 77/09 - "die Abhilfe der Untätigkeit des Gerichts angemahnt und eine umgehende Entscheidung beantragt." Streitgegenstand dieses Verfahrens ist die am 3. April 2009 erhobene Untätigkeitsklage gegen die Beklagte mit dem Antrag,
die Beklagte zu verurteilen, über die Widersprüche vom 27. Juni 2008 zum Hausarztmodell sowie vom 13. September 2008 zur Befreiung von der gesetzlichen Zuzahlung Widerspruchsbescheide zu erteilen.
Die Untätigkeitsklage zum "Hausarztmodell", bei der noch eine Entscheidung zu dem von dem Kläger eingelegten Widerspruch vom 27. Juni 2008 ausstand, hat sich durch Abhilfebescheid der Beklagten vom 8. September 2010 erledigt. Zur Frage der Befreiung von der gesetzlichen Zuzahlung hat die Beklagte vorgetragen (Schriftsatz vom 24. November 2009), dass der Kläger am 7. Oktober 2008 bei ihr, der Beklagten, die Befreiung von der Zuzahlung beantragt habe. Mit Bescheid vom 13. Oktober 2008 sei der Kläger über die Höhe der Belastungsgrenze (77,20 €) sowie über die Höhe der zu berücksichtigenden Zuzahlungen (85,00 €) informiert worden. Als Zuzahlung seien Zuzahlungen zu Arznei- und Verbandmitteln in Höhe von 65,00 € sowie die Praxisgebühr für das 1. und 2. Quartal 2008 zu berücksichtigen gewesen. Weitere Unterlagen habe der Kläger nicht vorgelegt. Da die gewünschte Erstattung des die Belastungsgrenze übersteigenden Betrages in Höhe von 7,80 € per Scheck nicht möglich gewesen sei, habe sie um Angabe einer Bankverbindung gebeten. Da die Versicherung des Klägers zu jenem Zeitpunkt bereits beendet gewesen sei, habe die Befreiungskarte von der neuen Krankenkasse ausgestellt werden müssen. Deshalb sei der Kläger gebeten worden, den Bescheid dort vorzulegen. Die Überweisung der Zuzahlungserstattung sei am 10. November 2008 auf das Konto von Frau EA. vorgenommen worden. Deshalb sei eine Entscheidung über den Widerspruch zur Befreiung von der gesetzlichen Zuzahlung nicht mehr möglich. Dies habe sie bereits in ihrer Stellungnahme zu der Untätigkeitsklage ausgeführt (Schriftsatz vom 24. November 2009).
Nach Vorlage des Abhilfebescheides hat das Sozialgericht mit Verfügung vom 19. Januar 2011 bei dem Kläger angefragt, ob es "eventuell damit sein Bewenden haben könne"? Hierauf hat der Kläger dem Sozialgericht mitgeteilt:
"Da dem Gericht so sehr daran gelegen ist, kein Urteil sprechen zu müssen, rege ich an, einen Vergleich auszuarbeiten. Meine Bedingung: Folgende Kosten hat die Beklagte neben eventuellen Gerichtskosten zu erstatten: 1 unnötige Fahrt vom September 2008 vom Zweitwohnsitz A-Stadt nach N-Stadt und zurück (Befreiungsantrag wurde nicht auf- und Belege nicht angenommen) über insgesamt 90 km sowie Porto- und Materialkosten für Klage und weitere 6 Schriftsätze. Die Gesamtkosten bezifferte ich pauschal auf 35,00 €.
Sollte dieser Vorschlag nicht binnen 1 Monat die Klage erledigen, werde ich mich künftig anwaltlich vertreten lassen, um dem meines Erachtens einseitigen Drängen des Gerichts entgegen wirken zu können. Auf das diffuse Vorbringen der Beklagten vom 12. Januar 2011 will ich nicht eingehen."
Mit Verfügung vom 10. März 2011 hat das Sozialgericht dem Kläger und Beschwerdeführer mitgeteilt, dass das Verfahren zur Sitzung verfügt sei. Ein genauer Termin könne noch nicht mitgeteilt werden.
Hiergegen richtet sich die von dem Kläger erhobene "Untätigkeitsbeschwerde".
II.
Die Untätigkeitsbeschwerde hat keinen Erfolg, weil das Sozialgericht nicht die aktuelle Bearbeitung des Verfahrens verzögert oder verweigert hat.
Nach § 172 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) findet die Beschwerde gegen Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden der Sozialgerichte statt. Eine anfechtbare Entscheidung des Sozialgerichts liegt hier nicht vor. Der Antragsteller rügt vielmehr eine von ihm gesehene Untätigkeit des Sozialgerichts mit einer sogenannten “Untätigkeitsbeschwerde„. Solche Untätigkeitsbeschwerden sind bisher nach allgemeiner Auffassung als unzulässig erachtet worden, weil es hierfür (noch) keine Rechtsgru...