Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. erhöhte Bedarfe aufgrund der Corona-Pandemie. abweichende Regelsatzfestsetzung bzw Erbringung eines ergänzenden Darlehens. Unausweichlichkeit bzw Unabweisbarkeit des Bedarfs. Notbevorratung mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln
Leitsatz (amtlich)
Die von dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe empfohlene (Not-)Bevorratung für 10 bis 14 Tage in Zeiten der Corona-Pandemie führt nicht zu einem unausweichlichen bzw unabweisbaren Bedarf im Sinne der §§ 27a Abs 4 SGB XII iVm 42 Nr 1 SGB XII, 37 Abs 1 SGB XII.
Nachgehend
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 3. April 2020 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz um höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) wegen einer Bevorratung im Zuge der Corona-Pandemie.
Der 1962 geborene und schwerbehinderte Antragsteller bezieht seit dem 1. Oktober 2014 von dem Antragsgegner neben seiner Rente wegen voller Erwerbsminderung (derzeit: 348,69 € monatlich) laufend Grundsicherungsleistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII. Diese wurden ihm von dem Antragsgegner für den Leistungszeitraum vom 1. Juli 2019 bis 30. Juni 2020 mit Bescheid vom 8. Mai 2019, abgeändert durch die Bescheide vom 15. August 2019, vom 6. Januar 2020 und vom 20. März 2020 bewilligt.
Mit E-Mail vom 23. März und vom 26. März 2020 beantragte der Antragsteller bei dem Antragsgegner parallel zur monatlichen Regelleistung eine sofortige Pandemie-Beihilfe für eine Bevorratung in Höhe von 1.000,00 €, die auch als Darlehen gewährt und welche in Raten ab 2021 zurückgezahlt werden könne. Durch seine Situation als Schwerbehinderter mit einer chronischen Erkrankung und Immobilität sei er auf Lebensmittellieferungen angewiesen. Durch die Corona-Pandemie komme es zu immer größeren Lieferengpässen, sodass er gezwungen sei, Lebensmittel und andere Bedarfsgegenstände in großer Menge zu bestellen, damit er sich ausreichend bevorraten könne. Sein Vorrat reiche aktuell noch für 4 Wochen. Der Antragsgegner lehnte den Antrag des Antragstellers zunächst mit E-Mail vom 30. März 2020 ab. Eine Bedarfserhöhung aufgrund einer Bevorratung wegen der aktuellen Corona-Pandemie sei weder nach § 27a Abs. 4 SGB XII noch nach § 30 SGB XII möglich. Die Notwendigkeit einer Regelbedarfserhöhung sei nicht erkennbar, da dem Grunde nach kein abweichender Bedarf bestehe. Nach dem Kenntnisstand des Antragsgegners und den offiziellen Mitteilungen zum Umgang mit der Corona-Pandemie sei eine Bevorratung mit Lebensmitteln nicht notwendig bzw. es werde hiervon abgeraten. Die notwendigen Einrichtungen (u.a. Lebensmittelmärkte, Apotheken und Banken) seien verfügbar. Ein unabweisbar gebotener Bedarf für ein ergänzendes Darlehen gemäß § 37 SGB XII, der auf keine andere Weise gedeckt werden könne, sei derzeit zudem nicht ersichtlich. Mittlerweile gebe es auch ein Helfersystem im Werra-Meißner-Kreis bezüglich der Beschaffung von Lebensmitteln und ggf. auch von weiteren notwendigen Arzneimitteln. Diesbezügliche Informationen könnten auf der Website des Werra-Meißner-Kreises nachgelesen werden.
Am 30. März 2020 beantragte der Antragsteller bei dem Sozialgericht Kassel den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, ihm für eine Bevorratung eine Beihilfe, notfalls ein Darlehen, in Form einer monatlichen Erhöhung der Regelleistung bis auf Weiteres um 100,00 € nebst einer Einmalzahlung von 1.000,00 € zu gewähren. Zur Begründung hat er erneut darauf hingewiesen, dass er durch seine chronisch schwere Erkrankung und Gehbehinderung (GdB von 60 und Pflegegrad 1) nicht in der Lage sei, seine Wohnung zwecks Einkäufen etc. zu verlassen. Aufgrund der Corona-Pandemie zeichneten sich im gesamten Bundesgebiet massive Versorgungsengpässe mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln ab. Für die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland sei es daher und entgegen jedweder Politikerverlautbarung zwingend notwendig, sich dauerhaft zu bevorraten, weil absehbar sei, dass die Versorgung in wenigen Tagen in Deutschland ähnlich katastrophal zusammenbrechen werde wie in Spanien und Italien. Dort würden bereits erste Plünderungen und Überfälle auf Supermärkte und Apotheken gemeldet. Für Bezieher von Sozialleistungen der Rechtsbereiche Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) und SGB XII sei es aus rein finanziellen Gründen nahezu unmöglich, sich einen tauglichen Vorrat an Lebensmitteln, Hygieneartikeln und Medikamenten für einen Zeitraum von mindestens acht bis zwölf Wochen anzulegen. Die meisten Online-Versender hätten bereits Lieferzeiten von bis zu 10 Tagen, die Bezahlung müsse aber trotzdem sofort per Vorkasse abgewickelt werden, wofür ihm die not...