Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. einstweilige Anordnung. individueller Therapieversuch mit Cannabis-Mundspray
Orientierungssatz
Einem Versicherten ist ein individueller Therapieversuch mit einem Cannabis-Mundspray durch die Krankenkasse vorläufig zu erteilen, wenn selbst Morphium oral nicht zu einer Beschwerdebesserung geführt hat.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 14. Juli 2017 abgeändert.
Die Antragsgegnerin wird bis zur Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 11. April 2017 verpflichtet, die Genehmigung für seine Versorgung auf ärztliche Verordnung mit Sativex® Spray zu erteilen.
Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers beider Instanzen.
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 14. Juli 2017 mit dem sinngemäß gestellten Antrag, die Antragsgegnerin zu verurteilen, vorläufig die Genehmigung zu seiner Versorgung mit einer Cannabistherapie zu erteilen, ist im Umfang der Entscheidung des Senats erfolgreich.
Wegen des zugrunde liegenden Sachverhalts und der gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts Kassel in dem angefochtenen Beschluss vom 14. Juli 2017 Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Anders als das Sozialgericht ist der Senat auf der Grundlage des im Beschwerdeverfahren eingeholten Befundberichts des Arztes B. vom 29. August 2017 mit Ergänzung vom 22. September 2017 aber zu der Überzeugung gekommen, dass sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht ist.
Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn der zu sichernde Hauptsacheanspruch dem Antragsteller mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zusteht; ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn im Interimszeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wesentliche Nachteile drohen (Kordel/Feldbaum, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 4. Aufl., Rn. 333).
Nach der im einstweiligen Rechtsschutz ausschließlich möglichen summarischen Prüfung besitzt der Antragsteller einen Versorgungsanspruch gem. § 31 Abs. 6 SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 6. März 2017 (BGBl. S. 403), in Kraft getreten mit Wirkung vom 10. März 2017. Gemäß § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon , wenn
1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
a) nicht zur Verfügung steht oder
b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,
2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Der Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert und leidet an einer schwerwiegenden Erkrankung. Nach dem Befundbericht von Dr. B. vom 29. August 2017 leidet er seit Jahren an chronischen Bauchschmerzen mit Darmpassagestörungen bei Verdacht auf Verwachsungsbauch, Zustand nach Pankreatikojejunostomi , chronisch rezidivierende Pankreatitis, leichte Depression, Diabetes mellitus Typ 3 (Pankreas bedingt). Dem entsprechen die dem Befundbericht beigefügten Unterlagen: Entlassungsbericht des A. Klinikum M. vom 4. August 2016, Arztbrief von Dr. C. (Arzt für Anästhesie, Schmerztherapie und Palliativmedizin) vom 5. Mai 2011 und Entlassungsbericht der W.-W.-Klinik vom 9. März 2010, die übereinstimmend von chronischen Abdominalschmerzen infolge einer chronischen Pankreatitis mit endokriner Pankreatitisinsuffizienz berichten. Bei dem Antragsteller bestehen nach wiederholter Bauchspeicheldrüsenentzündung und vor Jahren erforderlich gewordener Pankreatikojejunostomi (2005) chronische ausgeprägte und das tägliche Leben schwer einschränkende Bauchschmerzen. Diese Schmerzen bestehen trotz Morphiumgabe in höheren Dosen und zusätzlicher Gabe von Buscopan und Novalgin weiter fort bzw. werden nur leicht gemindert. Die Darmtätigkeit bereitet Schmerzen; wahrscheinlich im Rahmen der Stuhlpassage kommt es täglich mehrfach zu deutlichen Schmerzspitzen.
Zur Behandlung dieser Schmerzen steht eine dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung. Nach dem Befundbericht des Arztes B. vom
29. August 2017 erhält der Antragsteller schon seit Jahren Morphium oral. Auch eine Vorstellung beim Schmerztherapeuten führte nicht zu ...