Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit eines Eingliederungsverwaltungsaktes
Orientierungssatz
1. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Eingliederungsverwaltungsakt entfalten nach § 39 Nr. 1 SGB 2 keine aufschiebende Wirkung.
2. Die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung der Klage bzw. des Widerspruchs erfolgt auf der Grundlage einer Interessenabwägung. Dabei räumt der Gesetzgeber dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen ein. Eine Abweichung von diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis kommt nur in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen oder wenn ausnahmsweise besondere private Interessen überwiegen.
3. Das Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit eines Eingliederungsverwaltungsaktes verlangt, dass dem Adressaten genau vorgegeben wird, was von ihm verlangt wird. Lässt der Bescheid nicht erkennen, welche genaue Anzahl von Bewerbungsbemühungen der Betroffene nachweisen muss, so ist der Bescheid nicht hinreichend bestimmt.
4. Ebenso muss aus dem Bescheid hervorgehen, ob und gf. in welcher Höhe die Kosten für schriftliche Bewerbungen erstattet werden.
5. Die aufschiebende Wirkung ist grundsätzlich ganz anzuordnen, wenn sich einzelne Regelungen eines Eingliederungsverwaltungsaktes nach § 15 Abs. 1 S. 6 SGB 2 als rechtswidrig erweisen.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 27. Juni 2013 aufgehoben.
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 9. Juli 2013 (S 25 AS 525/13) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 12. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2013 wird angeordnet.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Gründe
Die am 27. Juni 2013 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Beschwerde des Antragstellers mit dem sinngemäßen Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 27. Juni 2013 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage vom 9. Juli 2013 (S 25 AS 525/13) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 12. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2013 anzuordnen,
hat Erfolg.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen. Da der Eingliederungsverwaltungsakt nicht auf eine Geldleistung, sondern auf Handlungspflichten des Antragstellers gerichtet ist, findet eine kostenmäßige Beschränkung der Beschwerde nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht statt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. April 2013 - L 12 AS 374/13 B ER - m.w.N.).
Die Beschwerde ist auch begründet.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG statthaft, da Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Eingliederungsverwaltungsakt nach § 39 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) keine aufschiebende Wirkung entfalten. Der Antrag ist auch sonst zulässig, insbesondere ist das Rechtsschutzbedürfnis für den vorliegenden Eilantrag zu bejahen. Dieses ergibt sich daraus, dass dem Antragsteller durch den Eingliederungsverwaltungsakt konkrete Handlungspflichten (hier: Nachweis von Bewerbungsbemühungen) auferlegt werden. Aus diesen Handlungspflichten ergibt sich bereits unmittelbar eine Beschwer im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG, so dass der vom Sozialgericht unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bayer. LSG vom 20. Dezember 2012 (L 7 AS 862/12 B ER) vertretenen Auffassung, der Antragsteller begehre vorliegend vorbeugenden Rechtsschutz, er sei daher auf die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine ggf. nachfolgende Sanktionsentscheidung zu verweisen, nicht gefolgt werden kann (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2012 - L 12 AS 1044/12 B ER -).
Der Antrag ist auch begründet.
Die Entscheidung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erfolgt auf der Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben und das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache eine wesentliche Bedeutung zu.
Dabei ist die Wertung des § 39 Nr. 1 SGB II zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung der Individual- und öffentlichen Interessen (vgl. Eicher in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 39 Rdnr. 7) dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt. Eine Abweichung von diesem Regel-Ausnahmeverhältnis kommt nur in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen oder wenn ausnahmsweise besondere private Interessen überwiegen (vgl. Keller in: Meyer-La...