Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für ausländische Staatsangehörige bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. rumänische und bulgarische Unionsbürger. europarechtskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Auf Staatsangehörige aus Rumänien und Bulgarien, die in den persönlichen Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 (juris: EGV 883/2004) fallen und ihren gewöhnlichen und rechtmäßigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, findet § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 wegen des Vorranges von Art 70 iVm Art 4 VO (EG) 883/2004 keine Anwendung (Anschluss an LSG Darmstadt vom 14.7.2011 - L 7 AS 107/11 B ER = NDV-RD 2011, 102 und LSG München vom 19.6.2013 - L 16 AS 847/12).
2. Zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts.
3. Zur Auslegung von Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG (juris: EGRL 38/2004) im Lichte der Entscheidung des EuGH vom 19.9.2013 - C-140/12 - Brey.
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 12. Juni 2013 dahingehend abgeändert, dass die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet wird, den Antragstellern für den Zeitraum vom 1. September bis zum 30. November 2013 den jeweiligen Regelbedarf in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern deren notwendige außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe
Die am 18. Juni 2013 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangene Beschwerde mit dem sinngemäß gestellten Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 12. Juni 2013 dahingehend abzuändern, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, auf den Antrag vom 25. Februar 2013 und den Widerspruch gegen den Bescheid vom 4. April 2013 hin Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch, Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in gesetzlicher Höhe zu gewähren,
ist zulässig und teilweise begründet.
Der Antrag ist zulässig.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts umfasst der Antrag nach verständiger Auslegung auch die Antragsteller zu 3. und 4. Auf sie bezog sich der in den Akten der Antragsgegnerin befindliche Antrag auf Leistungsgewährung. Bereits in der Antragsschrift vom 17. April 2013 wiesen die Antragsteller zudem auf den zu deckenden Bedarf der Antragsteller zu 3. und zu 4. hin, so dass sich bei anwaltlich nicht vertretenen Antragstellern eine Auslegung unter Einbeziehung der Antragsteller zu 3. und zu 4. aufdrängt, auch wenn diese nicht im Rubrum der Antragsschrift, sondern erst in der Begründung genannt werden.
Rechtsschutzbedürfnis besteht im Hinblick auf das noch laufende Widerspruchsverfahren bezüglich der Ablehnung des Antrages vom 25. Februar 2013 durch den Bescheid vom 4. April 2013. Wegen des parallel geführten Verwaltungsverfahrens ist die Bestandskraft des Bescheides vom 4. März 2013 unschädlich und ein Anspruch der Antragsteller auf Leistungen noch regelungsfähig.
Der Antrag ist teilweise begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Ein solcher wesentlicher Nachteil ist nur anzunehmen, wenn dem Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch in der Hauptsache zusteht (Anordnungsanspruch) und es ihm darüber hinaus nicht zuzumuten ist, die Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Anordnungsanspruches und eines Anordnungsgrundes sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist. Dabei sind grundrechtliche Belange des Antragstellers umfassend in der Abwägung zu berücksichtigen. Insbesondere bei Ansprüchen, die darauf gerichtet sind, als Ausfluss der grundrechtlich geschützten Menschenwürde das soziokulturelle Existenzminimum zu sichern (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz - GG - i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG), ist ein nur möglicherweise bestehender Anordnungsanspruch dann, wenn er eine für die soziokulturelle Teilhabe unverzichtbare Leistungshöhe erreicht und nicht absehbar ist, dass kurzfristig die notwendige Klärung über das Vorliegen des Anspruches herbeigeführt werden kann, in der Regel vorläufig zu befriedigen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage im Eilverfahren nicht vollständig klären lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - info also 2005, 166). Existenzsichernde ...