Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Unfallfolge. psychische Gesundheitsstörung. Vollbeweis. haftungsbegründende Kausalität. Nachweis. Wahrscheinlichkeit. Simulation. dissoziative Störung
Leitsatz (amtlich)
Eine Gesundheitsstörung kann nicht als Folge eines Arbeitsunfalls anerkannt werden, wenn sie mit hoher Wahrscheinlichkeit simuliert wird (hier bejaht).
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 20. November 2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander für beide Instanzen keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Bewilligung einer Verletztenrente wegen der Folgen eines anerkannten Arbeitsunfalls.
Der 1978 in der Türkei geborene Kläger lebt seit 2000 in Deutschland. Ab 2008 war er bei der C. (C-Stadt) als Postzusteller beschäftigt und bei der Beklagten unfallversichert.
Am 26. November 2012 stürzte er während des Dienstes gegen 16:00 Uhr (aus oder von seinem Fahrzeug) und fiel auf das rechte Knie. Ein Rettungswagen brachte ihn in die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik (BGU) Frankfurt am Main, wo er berichtete, beim Aussteigen aus dem Fahrzeug mit beiden Beinen weggerutscht und mit diesen unter dem Auto angestoßen, nicht aber bewusstlos gewesen zu sein. Der Durchgangsarzt (D-Arzt) D. diagnostizierte nach der Anfertigung von Röntgenaufnahmen eine mehrfragmentäre Tibiakopffraktur rechts sowie eine Fibulakopf-Trümmerfraktur rechts (D-Arzt-Bericht vom 27. November 2012). Noch am selben Tag und dann erneut am 4. Dezember 2012 wurde der Kläger operiert. Postoperative Röntgenaufnahmen zeigten die korrekte Lage des eingebrachten Osteosynthesematerials und die korrekte Stellung der Fraktur. Nach dem fachärztlichen Bericht (vom 27. Dezember 2012) von Prof. Dr. D., Dr. E. und Dr. F. habe sich aber eine Minderinnervation im Bereich der Unterschenkelmuskulatur und der Oberschenkelmuskulatur gezeigt. Aufgrund der Symptomatik wurden im stationären Verlauf ein neurologisches, psychologisches und schmerztherapeutisches Konzil durchgeführt.
Dr. med. Dipl.-Psych. G. legte in seinem Bericht vom 22. Dezember 2012 dar, der Befund deute auf eine ganz massive psychogene Parese hin. Es sei aber eine leichte axonale Schädigung im Tibialis anterior nachzuweisen, sodass zumindest eine leichte Mitbeteiligung des Peronaeus (allerdings nicht relevant, weil im Übrigen die Nervenleitgeschwindigkeit - NLG - unauffällig sei) angenommen werden könne.
In ihrem psychologischen Bericht vom 15. Januar 2013 führte die Dipl.-Psych. H. aus, dass der Kläger geschildert habe, einer hohen Stressbelastung am Arbeitsplatz ausgesetzt gewesen zu sein. Er habe zwei Wochen postoperativ angegeben, sein Bein nicht zu spüren. Ihr gegenüber habe er geäußert, das Bein schon zu spüren, lediglich die Füße spüre er etwas geringer. Auf ihre Nachfrage habe der Kläger dann angegeben, dass er das Bein von Anfang an, d. h. direkt nach dem Unfallereignis, nicht habe spüren können. Es sei die Möglichkeit einer dissoziativen Symptomatik (F44.7) gegeben.
Dr. med. Dipl.-Psych. G. legte in seinem Bericht vom 8. Februar 2013 dar, es sei weiterhin (bei völlig intakter indirekter Erregbarkeit der Nerven) von einer psychogenen Parese auszugehen. Bei der klinischen Untersuchung biete der Kläger jetzt wieder eine komplette Plegie des Peronaeus, obwohl beim Gehen teilweise doch die Muskeln eingesetzt würden. Es bestehe auch keine Muskelatrophie und die angegebenen sensiblen Störungen seien so nicht nachvollziehbar.
Vom 27. Februar bis 27. März 2013 wurde der Kläger stationär in der BGU Frankfurt am Main behandelt. In dem Entlassungsbericht vom 23. April 2013 führten Prof. Dr. D., Dr. J. und Dr. F. aus, es sei noch nicht eindeutig zu klären, inwieweit sich eine dissoziative Funktionsstörung bestätigen lasse. Verschiedene Patienten und auch Funktionspersonal des Hauses hätten den Kläger bei guter Funktion im Bereich der rechten unteren Extremität gesehen.
Am 25. April 2013 stellte sich der Kläger erneut in der BGU vor. Dort wurde eine passive Beweglichkeit des rechten Kniegelenks von 0/0/130° gemessen, zu diesem Datum das ambulante Heilverfahren abgeschlossen und durch die Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie K. der 28. April 2013 als letzter Tag der Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Ab 29. April 2013 erhielt der Kläger kein Verletztengeld mehr.
In ihrem Befundbericht vom 10. Mai 2013 diagnostizierte die den Kläger behandelnde Dipl.-Psych. L. bei ihm eine dissoziative Bewegungsstörung (F44.4) sowie eine leichte depressive Episode (F32.0).
Im Hinblick auf den stationären Aufenthalt in der BGU Frankfurt am Main legte die Dipl.-Psych. H. in ihrem Bericht vom 13. Mai 2013 dar, die Teillähmung des rechten Beines habe sich nicht wesentlich gebessert. Der Kläger habe angegeben, vor dem Unfallereignis Probleme am Arbeitsplatz gehabt zu haben und von seinem Chef regelrecht schikaniert geworden zu sein. Bei der Explorati...