Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtzeitigkeit des Beweisantrags nach § 109 SGG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein erst in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag nach § 109 SGG kann als verspätetet zurückgewiesen werden, wenn der Kläger oder sein Bevollmächtigter in angemessener Zeit (vier Wochen) vor der Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen worden ist, daß eine Beweiserhebung von Amts wegen nicht in Betracht komme.

2. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, sich mit voneinander abweichenden medizinischen Lehrmeinungen im einzelnen auseinanderzusetzen und darüber zu entscheiden welche von ihnen richtig sind (Anschluß an BSG, 18.10.1976 – 9 BV 88/76 – und 20.9.1977 – 8 RU 24/77)

3. Die These, daß ein cerebraler (arteriosklerotischer) Vorschaden durch eine unfallbedingte Gehirnerschütterung zu einem deutlichen vorzeitigen Schub gelange und dieses Leiden sodann auf einem höheren Niveau weiter verlaufe, als es ohne Einfluß des Arbeitsunfalls der Fall sein würde, entspricht nicht der allgemein anerkannten medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung.

 

Normenkette

SGG §§ 109, 128; RVO §§ 548, 581

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 01.07.1977; Aktenzeichen S-3/U-169/75)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. Juli 1977 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Anschlußberufung des Klägers wird zurückgewiesen.

III. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung der Dauerrente.

Der im Jahre 1913 geborene Kläger erlitt bei einem Arbeitsunfall am 6. September 1975 neben multiplen Schnittverletzungen eine Gehirnerschütterung. Die Beklagte holte das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Dr. S. (…) vom 19. August 1974 ein, das dieser am 7. Dezember 1974 ergänzte. Dieser Gutachter vertrat die Auffassung, daß der Kläger bereits vor dem Arbeitsunfall vorgeschädigt gewesen sei; es habe ein ausgedehntes psycho-vegetatives Syndrom mit Fehlregulationen und Leistungsabfall bestanden, das durch die Gehirnerschütterung einen Potenzierungseffekt erfahren habe. Die bereits vorher bestandenen Beschwerden hätten sich hierdurch intensiviert; sie träten verstärkt auf. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit – MdE – betrage für die Zeit vom 1. November 1973 bis zum 30. April 1974 50 v.H., vom 1. Mai bis zum 31. Oktober 1974 35 v.H. und vom 1. November 1974 bis zum 30. April 1975 20 v.H. Danach sei eine Nachuntersuchung angezeigt. Die Beklagte ließ sich hierzu von dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. (W.) am 23. Januar 1975 beraten. Dieser Arzt stimmte der MdE-Bewertung des Dr. S. zu, vertrat aber die Auffassung, daß dem Unfallereignis nicht ein Potenzierungseffekt zukomme, sondern am ehesten eine einmalige abgegrenzte Verschlimmerung anzunehmen sei. Mit Bescheid vom 13. Mai 1975 gewährte die Beklagte wegen eines abklingenden postcommotionellen Beschwerdesyndroms bei unfallunabhängigen cerebrovasculären Störungen und psycho-vegetativen Fehlregulationen mit Leistungsabfall eine vorläufige Verletztenrente entsprechend dem Vorschlag der von ihr gehörten Gutachter. Über den 30. April 1975 hinaus lehnte sie die Gewährung einer Rente ab, da die Erwerbsfähigkeit durch die Unfallfolgen nicht mehr in rentenberechtigendem Grade gemindert sei.

Gegen diesen am gleichen Tage mit Einschreiben an ihn abgesandten Bescheid hat der Kläger bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main – SG – am 23. Mai 1975 Klage erhoben und geltend gemacht, daß in dem Unfallfolgezustand keine Besserung eingetreten sei.

Das SG hat von Amts wegen das nervenfachärztliche Gutachten des Dr. H (F.) vom 26. Juli 1976 eingeholt. Dieser Sachverständige hat den Arztbericht des Hausarztes des Klägers Dr. O. (H.) vom 2. August 1976 beigezogen und in seinem Gutachten ausgeführt, daß die Gehirnerschütterung zu einer abgegrenzten Verschlimmerung eines vorbestehenden unfallunabhängigen cerebralen Leidens geführt habe. Dieses setze seinen Schicksalsmäßigen Verlauf in einem höheren Niveau fort. Insoweit sei über den 30. April 1975 hinaus eine unfallbedingte MdE um 20 v.H. anzunehmen. Nachdem die Beklagte hierzu die gutachtliche Stellungnahme des Nervenfacharztes Dr. P. (V.) vom 13. Dezember 1976 vorgelegt hatte, hat das SG unter Berufung auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. Haibach mit Urteil vom 1. Juli 1977 den angefochtenen Bescheid abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger über den 30. April 1975 hinaus Verletztenrente nach einem Grad der MdE um 20 v.H. zu gewähren.

Gegen dieses ihr am 3. August 1977 zugestellte Urteil hat die Beklagte bei dem Hessischen Landessozialgericht schriftlich am 29. August 1977 Berufung eingelegt.

Es ist im Berufungsverfahren zunächst ergänzend der Sachverständige Dr. H. am 1. April 1978 schriftlich und am 12. Juli 1978 mündlich gehört worden. Er hat erneut darauf hingewiesen, daß dem Arbeitsunfall nicht nur die Qualität einer Gelegenheit...

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