Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegeunfall. Unterbrechung der haftungsausfüllende Kausalität. selbstgeschaffene Gefahr. Operation. Ablehnung einer Bluttransfusion. Zeuge Jehovas
Orientierungssatz
1. Zur Anerkennung des Todes eines Versicherten, der nach einer unfallbedingt notwendigen Hüftprothesenwechseloperation an Herzkreislaufversagen verstarb, als mittelbare Folge eines Wegeunfalles, auch wenn dieser zuvor aus religiösen Gründen eine Bluttransfusion abgelehnt hatte und der Tod dadurch hätte wahrscheinlich verhindert werden können.
2. Die bloße, auch unberechtigte und vorwerfbare Weigerung des Verletzten, sich ärztlich behandeln zu lassen, dh sein rein passives Verhalten, ist einer Selbstschädigung bzw der absichtlichen Verschlimmerung von Arbeitsunfallfolgen bis hin zum Tod, die eine zielgerichtete Aktivität voraussetzt, nicht gleichzusetzen; auf das absichtliche Unterlassen der möglichen Beseitigung einer nicht absichtlich herbeigeführten Gesundheitsstörung oder der möglichen Verhinderung des nicht absichtlich herbeigeführten Todes ist § 553 S 1 RVO nicht entsprechend anwendbar.
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Hinterbliebenenleistungen nach ihrem ... 1957 geborenen und ... 1995 verstorbenen Ehemann ... L (Versicherter).
Der Versicherte, der wie die Klägerin der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas angehörte, erlitt am 10. März 1994 auf dem Nachhauseweg von der Arbeit mit seinem Pkw einen Verkehrsunfall, als er in Schlangenlinien fahrend über seine sonst übliche Schnellstraßenabfahrt hinaus fuhr und frontal mit einem anderen Pkw zusammenstieß, dessen Fahrer noch an der Unfallstelle verstarb. Der Versicherte wurde deswegen später durch Urteil des Amtsgerichts Wetzlar vom 13. Dezember 1994 (Az.: Ls 23 Js 1302/94) verwarnt, wobei aufgrund eines rechtsmedizinischen Gutachtens davon ausgegangen wurde, dass er zum Unfallzeitpunkt wegen eines Zuckerschocks fahruntüchtig war. Durch den Unfall zog sich der Versicherte bei vorbestehendem insulinpflichtigem Diabetes mellitus und dialysepflichtiger Niereninsuffizienz mit renaler Anämie und HIV-Infektion ein Schädel-Hirn-Trauma und zahlreiche Frakturen u.a. im Bereich der linken Hüftgelenkpfanne zu. Im erstbehandelnden Kreiskrankenhaus W wurde eine Operation nicht durchgeführt, weil der Versicherte die Transfusion von Fremdblutbestandteilen (Erythrozyten und Plasma, Thrombozyten) aus Glaubensgründen ablehnte. Im Zuge der Weiterbehandlung in der auf die Problematik der operativen Versorgung von Zeugen Jehovas eingerichteten unfallchirurgischen Universitätsklinik B wurde am 21. März 1994 die Hüftgelenkluxationsfraktur links mit einer dorsalen Plattenosteosynthese versorgt und nach Sturz aus dem Bett mit der Folge einer Subluxation am 14. April 1994 ein Fixateur externe angelegt. Am 15. September 1994 wurde wegen Hüftkopfnekrose eine Hüftgelenktotalendoprothese implantiert, am 28. September 1994 wegen Pfannenlockerung ein Pfannenwechsel und am 11. Oktober 1994 wegen eines tiefen Infekts eine Wundrevision durchgeführt. Sämtliche Operationen erfolgten ohne Fremdblutübertragung. Im Januar 1995 wurde im Kreiskrankenhaus W eine Lockerung der Abstützplatte im Operationsgebiet und außerdem eine Entzündung mit Abszessbildung festgestellt. In der Universitätsklinik Bonn wurde bei der anschließenden stationären Behandlung ein Wiederaufflackern des Hüftgelenkinfekts mit reichlich Staphylococcus aureus bestätigt. Die Klinik teilte der Beklagten telefonisch mit, dass die erneut erforderliche Operation (septischer Prothesenwechsel) lebensgefährlich sei, da bekanntermaßen kein Fremdblut eingesetzt werden könne, man in B diese Operation nicht riskieren werde und der Versicherte dafür in die Endo-Klinik H verlegt werden solle, da ohne Operation in jedem Fall mit tödlichem Ausgang zu rechnen sei. Die Beklagte erklärte sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden.
Am 17. Februar 1995 wurde dann in der Endo-Klinik H die über besondere Erfahrungen im Bereich der septischen Endoprothesenrevision und auch des autologen Transfusionskonzepts, d.h. der Durchführung von Operationen ohne die Gabe von Fremdblut verfügt, "bei fistelnder tiefer Infektion" eine große Hüftprothesenwechseloperation mit radikalem Weichteildébridement und komplettem Austausch des Fremdmaterials durchgeführt. Vorab waren der Versicherte und die Klägerin in mehreren Aufklärungsgesprächen auf das hohe Risiko eines so ausgedehnten Eingriffs ohne Transfusion von Fremdblutderivaten bzw. darauf hingewiesen worden, dass der Versicherte ggf. an den Folgen der Operation bzw. des zu erwartenden Blutverlustes/der Blutverdünnung sterben würde. Dennoch wurde vom Versicherten die Gabe von Fremdblutprodukten auch für den Fall abgelehnt, dass sie von den Ärzten als lebensrettend eingestuft würde. Die von vielen Zeugen Jehovas ebenfalls abgelehnte maschinelle Autotransfusion (MAT), bei der intraoperativ abgesaugtes Wundblut und das postoperativ aus Drainagen...