Leitsatz (amtlich)
1. Lorenzos Öl gehört mit Änderung der AMR ab 1.10.2005 zu den nach Ziff 15.2.5 AMR erstattungsfähigen diätetischen Lebensmitteln.
2. Ab dem 1.10.2005 besitzt ein Versicherter gegen seine Krankenkasse einen Anspruch auf Erstattung der Kosten der Behandlung seiner Adrenomyeloneuropathie (AMN) mit dem ärztlich verordneten Lorenzos Öl als erstattungsfähiges diätetisches Lebensmittel nach Ziff 15.2.5 AMR.
3. Vor dem 1.10.2005 besitzt ein Versicherter keinen Kostenerstattungsanspruch gegen seine Krankenkasse, da das Lorenzos Öl weder ein Fertigarzneimittel noch ein Rezepturarzneimittel nach § 21 AMG ist und auch nicht unter die Regelungen der Ziff 17.1 Buchstabe i AMR aF fällt.
4. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Off-Label-Use ist auf die Behandlung von AMN mit Lorenzos Öl nicht anwendbar.
5. Eine analoge Anwendung der Ziff 17.1 Buchstabe i AMR aF auf die Behandlung von AMN mit Lorenzos Öl ist nicht zulässig.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 17. November 2004 abgeändert und die Beklagte verurteilt, den Kläger ab dem 1. Oktober 2005 von den Kosten der Behandlung mit den ärztlich verordneten Spezialölen Glycerol-Trioleat und Glycerol-Trieruct freizustellen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zur Hälfte zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten der Behandlung des Klägers ab 1. Dezember 2003 mit dem sogenannten Lorenzo’s Öl, ein Spezialöl in Form einer Mischung von Glycerol-Trioleat (GTO) und Glycerol-Trieruct (GTE) im Verhältnis 1:4 (GTO/GTE-Therapie).
Der Kläger, geboren 1963, ist bei der Beklagten krankenversichert. Er leidet an einer Form der angeborenen X-chromosomalen Adrenoleukodystrophie (X-ALD) und zwar der Adrenomyeloneuropathie (AMN), eine genetisch determinierte Fettstoffwechselerkrankung. Es handelt sich bei AMN um eine seltene, ausschließlich bei Männern auftretende Erb-Erkrankung. Diese Erkrankung stellt sich als Defekt des Fettstoffwechsels dar. Der Abbau überlangkettiger Fettsäuren ist gestört. Dies führt zu einer Konzentration im Blutplasma und im Gehirn sowie in der Nebennierenrinde mit entsprechenden Schädigungen. Die Erkrankung manifestiert sich zwischen dem 15. und 30. Lebensjahr und hat einen protrahierten Krankheitsverlauf. Folge dieser Erkrankung ist eine Schädigung des Rückenmarks und der peripheren Nerven zum Teil unter Einbeziehung des Zentralennervensystems. Hauptsymptome sind eine spastische Lähmung der Beine, periphere Neuropathie und Nebennierenrindeninsuffizienz. Eine Heilung der Erkrankung ist nicht möglich, die Behandlung erfolgt symptomatisch. Bei Nebennierenrindeninsuffizienz erfolgt eine Hormonsubstitution, ohne Einfluss auf neurologische Symptomatik, sowie die Medikamentation mit Antikonvulsiva, Antispastika neben Krankengymnastik, Ergotherapie u.s.w. Des Weiteren wird durch eine fettreduzierte Diät - zur Reduktion überlangkettiger Fettsäuren -und die Gabe des Lorenzo’s Öl eine Normalisierung der Konzentration überlanger Fettsäuren erreicht. Dadurch sollen Nervenschäden durch Anhäufung von überlangkettigen Fettsäuren möglichst vermieden werden. Diese Diagnose wurde beim Kläger im Alter von 17 Jahren gestellt. Seit 1990 ist er auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen. Es besteht eine Störung der Blasen- und Darmfunktion, eine Nebennierenrindeninsuffizienz und testikulärer Dysfunktion. Der Kläger nimmt zur Behandlung die Medikamente Lioresal und Siredarlut.
Auf der Grundlage einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen in Hessen (MDK Hessen, Frau Dr. B. vom 21. Februar 2000) übernahm die Beklagte die Kosten der Behandlung des Klägers mit dem Spezialöl für ein Jahr (Bescheid vom 23. Februar 2000).
Am 30. Januar 2001 beantragt der Kläger die weitere Kostenübernahme unter Vorlage dreier Laborberichte der FT.-A. Universität G.
Frau Dr. B. (MDK Hessen) kam in ihren erneuten Stellungnahmen vom 10. April 2001 und vom 23. April 2001 zu dem Ergebnis, die weitere Kostenübernahme könne nicht befürwortet werden. Eine kausale Behandlung der Erkrankung des Klägers sei nicht möglich. Die Lebenserwartung sei durch die Diagnose AMN nicht wesentlich eingeschränkt. Das Spezialöl sei ein Diätpräparat bzw. Lebensmittel. Die Einnahme des Spezialöls sei zwar medizinisch sinnvoll. Die Kostenübernahme sei jedoch nach § 31 Abs. 1 Satz 1 und 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) ausgeschlossen, da es nicht apothekenpflichtig sei und nicht unter die Ausnahmeregelungen der Arzneimittel-Richtlinien (AMR) falle.
Mit Bescheid vom 26. April 2001 übernahm die Beklagte die Kosten für weitere sechs Monate mit der Anregung, im Falle eines weiteren Antrages diesen rechtzeitig und unter Vorlage aussagekräftiger Unterlagen zu stellen.
Am 20. August 2001 stellte der Kläger einen weiteren Antrag auf Verlängerung der Kostenübernahme unter Vorlage einer Stellungnahme des...