Entscheidungsstichwort (Thema)

Verweisbarkeit eines Analphabeten auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt

 

Orientierungssatz

1. Eine Reinigungskraft, die die in diesem Beruf anfallenden Arbeiten nicht mehr verrichten kann, ist auf die Tätigkeit eines Warenaufmachers, Versandfertigmachers oder Warensortierers verweisbar. Solche Verweisungstätigkeiten sind mit keinen besonderen Anforderungen an die kommunikativen Fähigkeiten verbunden.

2. Solche Verweisungstätigkeiten stehen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang zur Verfügung. Zu Fragen des Arbeitsmarkts sind Auskünfte der Bundesagentur für Arbeit uneingeschränkt heranzuziehen, weil diese von besonderer Sachkunde gestützt werden.

3. Für die Verweisbarkeit auf die Tätigkeit eines Warenaufmachers, Versandfertigmachers oder Warensortierers ist unbeachtlich, dass der Versicherte Analphabet ist, weil im Rahmen solcher Tätigkeiten vorwiegend Verrichtungen anfallen, die durch schlichtes Vormachen demonstriert und durch Nachmachen ausgeführt werden können.

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 23. Mai 2006 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.

Der 1961 in SL. geborene Kläger verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Er kam 1994 nach Deutschland und arbeitete hier von 1999 bis 2001 als Reinigungskraft in der POR Filiale am WER. Dort zog er sich am 5. Juli 2001 anlässlich eines Arbeitsunfalls eine Knieverletzung zu. Nachfolgend bezog der Kläger zunächst Krankengeld und dann Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe.

Am 8. August 2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und legte einen Befundbericht des Arztes für Unfallchirurgie Dr. med. QAW. vom 19. August 2002 vor. Auf Veranlassung der Beklagten wurde er daraufhin am 18. September 2002 durch den Arzt für Orthopädie sowie für Physikalische und Rehabilitative Medizin - Chirotherapie, Sportmedizin, Spezielle Schmerztherapie - Dr. med. FF. untersucht.

Im fachorthopädischen Rentengutachten vom 24. September 2002 diagnostizierte Dr. med. FF. bei dem Kläger einen Zustand nach offener Knochen-Knorpel-Transplantation des linken Kniegelenkes, einen Zustand nach Innenmeniskusteilresektion, einen Zustand nach Knorpelglättung, ein chronisches Reizknie links sowie einen Diabetes mellitus. Unter Berücksichtigung dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen mutete er dem Kläger noch leichte körperliche Tätigkeiten mit Einschränkungen (überwiegend im Sitzen, ohne Knien oder dauerhaftes Stehen, ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten über 10 kg Gewicht, nicht auf Leitern und Gerüsten sowie ohne längere Anmarschwege) vollschichtig bzw. für die Dauer von arbeitstäglich sechs Stunden und mehr zu.

Nach Auswertung dieses Gutachtens lehnte die Beklagte den Rentenantrag durch Bescheid vom 8. Januar 2003 anfangs mit der Begründung ab, dass die gesetzliche Wartezeit nicht erfüllt sei.

Im nachfolgenden Widerspruchsverfahren stellte die Beklagte zunächst durch in der Sache bindend gewordenen Bescheid vom 23. Juli 2003 für die beiden in Deutschland geborenen Kinder zugunsten des Klägers eine Kindererziehungszeit fest, wodurch die gesetzliche Wartezeit erfüllt wurde.

Nach Beiziehung der Unfallakten der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten veranlasste die Beklagte sodann eine nochmalige Begutachtung des Klägers durch den Arzt für Orthopädie sowie für Physikalische und Rehabilitative Medizin - Chirotherapie, Sportmedizin, Spezielle Schmerztherapie - Dr. med. FF..

Im (zweiten) fachorthopädischen Rentengutachten vom 6. Oktober 2003 diagnostizierte Dr. med. FF. im Anschluss an eine ambulante Untersuchung vom 10. Oktober 2003 bei dem Kläger eine Gonarthrose links bei Zustand nach offener Knochen-Knorpel-Transplantation, Knorpelglättung und Innenmeniskusteilresektion, ein chronisch-rezidivierendes Reizknie, eine teilfixierte Wirbelsäulenfehlstatik sowie einen Diabetes mellitus. Zum Leistungsvermögen führte er wiederum aus, dass der Kläger noch leichte körperliche Tätigkeiten mit Einschränkungen (überwiegend im Sitzen, ohne Knien oder dauerhaftes Stehen, ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten über 10 kg Gewicht, nicht auf Leitern und Gerüsten sowie ohne längere Anmarschwege) vollschichtig bzw. für die Dauer von arbeitstäglich sechs Stunden und mehr verrichten könne. Die dem Kläger zumutbare Gehstrecke betrage mehr als 600 m; er könne mehr als 30 Minuten kontinuierlich gehen.

Der Widerspruch des Klägers wurde sodann seitens der Beklagten durch Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 2003 mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Kläger zumindest noch sechs Stunden arbeitstäglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein könne. Eine Erwerbsminderung in rentenberechtigendem Ausmaß liege deshalb nicht vor.

Der Kl...

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