Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe in anderen Lebenslagen. keine Übernahme von Bestattungskosten eines Familienangehörigen (hier: Bruder). Bestattungsverpflichteter. Nachrang der Kostenerstattung des Sozialhilfeträgers. mehrere Kostenpflichtige bzw Bestattungspflichtige. gesamtschuldnerische Haftung nach § 426 BGB. Vermögenseinsatz. Zumutbarkeit iS des § 74 SGB 12. keine Übertragbarkeit der Wertungen des Zivilrechts. einmalige, begrenzte Zahlungspflicht
Orientierungssatz
1. Gem § 26 Abs 1 Nr 6 BestattG SL 2003 sind die Geschwister des Verstorbenen als nächste Verwandte bestattungspflichtig.
2. Mehrere Kostenpflichtige bzw Bestattungspflichtige sind nach § 426 Abs 1 BGB im Verhältnis zueinander grundsätzlich zu gleichen Anteilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Bei mehreren Verpflichteten ist die Zumutbarkeit iS des § 74 SGB 12 gesondert für den jeweiligen Antragsteller zu prüfen, weil eine Kostentragung nur dann unzumutbar sein kann, wenn von anderer Seite kein Ersatz erlangt werden kann (vgl LSG Darmstadt vom 20.3.2008 - L 9 SO 20/08 B ER = FEVS 59, 567). Bei gesamtschuldnerischer Haftung ist Bezugspunkt der nach § 426 BGB zu tragende Kostenanteil.
3. Einem Hilfebedürftigen ist die Kostentragung des auf ihn entfallenden Kostenanteils finanziell zumutbar iS des § 74 SGB 12, wenn er über einzusetzendes Vermögen verfügt.
4. Die Zumutbarkeit iS des § 74 SGB 12 beschränkt sich nicht auf eine finanzielle Zumutbarkeit, sondern lässt auch Raum für andere (Un-)Zumutbarkeitsgründe, etwa solche persönlicher Natur. Bei der Gewichtung der wirtschaftlichen Auswirkungen sind ua die rechtliche und soziale Nähe und zwischenmenschliche Beziehungen zum Verstorbenen zu berücksichtigen. Je enger das Verwandtschaftsverhältnis (zB Kinder, Geschwister) oder die rechtliche Beziehung (zB Ehe- oder Lebenspartner) zu dem Verstorbenen war, desto geringer sind in der Regel die Anforderungen an die Zumutbarkeit des Einkommens- und Vermögenseinsatzes (vgl BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 23/08 R = BSGE 104, 219 = SozR 4-3500 § 74 Nr 1). Bei zerrütteten Verwandtschaftsverhältnissen sind höhere Anforderungen an die Zumutbarkeit zu stellen. Entscheidend sind jeweils die Verhältnisse des Einzelfalles. Hat der Verstorbene gegenüber dem Verpflichteten schwere Verfehlungen (zB Körperverletzungen, sexueller Missbrauch, gröbliche Verletzung von Unterhaltspflichten) begangen, so kann trotz eines engen Näheverhältnisses die Kostentragung unzumutbar sein. Dagegen führt die allein fehlende Nähe des Bestattungsverpflichteten zum Verstorbenen nicht zu einer persönlichen Unzumutbarkeit der Kostentragung.
5. Die Wertungen des Zivilrechts in den §§ 1361 Abs 3, 1579 Nr 2 - 7, 1611 Abs 1 BGB, die den Wegfall, die Beschränkung oder die Herabsetzung der familienrechtlichen Unterhaltsverpflichtung aus Billigkeitsgründen regeln, sind nicht auf die hier in Rede stehende öffentlich-rechtliche Verpflichtung übertragbar, denn die Bestattungspflicht begründet kein "Dauerschuldverhältnis" zwischen dem Verstorbenen und dem Bestattungspflichtigen (vgl OVG Saarlouis vom 27.12.2007 - 1 A 40/07 = AS RP-SL 35, 353).
6. Bei der Pflicht zum Ersatz der Beerdigungskosten handelt es sich um eine einmalige, der Höhe nach von vornherein begrenzte Zahlungspflicht, die zu tragen den Angehörigen eher zumutbar ist als eine Unterhaltspflicht (vgl VG Halle vom 20.11.2009 - 4 A 318/09).
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 26. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten für die Bestattung des Bruders der Klägerin in Höhe von insgesamt 2.543,76 Euro.
Der Bruder der Klägerin, B. A., verstarb im Alter von 64 Jahren am 7. November 2009 in S-Stadt (Saarland). Vor seinem Tod bezog Herr A. Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von der ARGE X-Stadt. Der Verstorbene verfügte über kein nennenswertes Vermögen.
Die nächsten Familienangehörigen des Verstorbenen sind die 1957 geborene Klägerin als Schwester, sowie eine weitere Schwester (V. V., geboren 1958) und ein in Mexiko lebender Bruder (C. A.). Zwei weitere Brüder (D. und E. A.) sind bereits vorverstorben. Die Klägerin und ihre Schwester, sowie deren Sohn haben die Erbschaft ausgeschlagen.
Die Klägerin lebte von 1977 bis 2000 in den USA, ist dort geschieden und hat dort keine Rentenansprüche erworben. Im Jahr 2001 zahlte sie erstmals in die deutsche Rentenkasse ein. Laut Mitteilung der Deutschen Rentenversicherung vom 27. Juni 2007 hatte sie zu diesem Zeitpunkt einen Rentenanspruch in Höhe von 310,56 Euro monatlich.
Die heute in B-Stadt lebende Schwester der Klägerin (die von 1977 bis 1992 ebenfalls in den USA lebte) hatte (soweit belegt) von August bis Oktober 2009 ein monatliches Einkommen in Höhe von 1.871,94 Euro. Darüber hinaus verfügte sie zu dieser Zeit über einen Bausparvertrag, in den sie 40,00 Euro mo...