Entscheidungsstichwort (Thema)
Rehabilitation und Teilhabe. Zuständigkeitsklärung. Leistungserbringung durch den erstangegangenen Rehabilitationsträger aufgrund eines Zuständigkeitsirrtums. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Anwendbarkeit des § 104 Abs 1 S 1 SGB 10 zum Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers. Anwendbarkeit der Bagatellgrenze des § 110 Abs 2 S 1 SGB 12. - siehe dazu anhängiges Verfahren beim BSG: B 8 SO 10/17 R
Leitsatz (amtlich)
Die Bagatellklausel des § 110 Abs 2 S 1 SGB XII steht auch einem Kostenerstattungsanspruch aus § 104 SGB X entgegen. Im Verhältnis der Sozialhilfeträger untereinander findet keine Erstattung von Kosten unter 2.560 Euro statt.
Orientierungssatz
§ 104 Abs 1 S 1 SGB 10 gilt auch im Anwendungsbereich des § 14 SGB 9, wenn der erstangegangene Rehabilitationsträger über seine Zuständigkeit irrt und den Antrag deshalb nicht rechtzeitig an den eigentlich zuständigen Träger weiterleitet (vgl BSG vom 17.2.2010 - B 1 KR 23/09 R = BSGE 105, 271 = SozR 4-2500 § 40 Nr 5).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 12. April 2016 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Erstattung von Kosten, die ihm für die Leistungserbringung an den 1968 geborenen Herrn D. (im Folgenden: Hilfeempfänger) entstanden sind.
Der Hilfeempfänger bezog bereits in der Vergangenheit verschiedene Leistungen der Sozialhilfe; 1989 wurde bei ihm im Rahmen einer amtsärztlichen Begutachtung u.a. eine "geistige Behinderung" festgestellt. Sein Grad der Behinderung beträgt 80; daneben ist das Merkzeichen "G" anerkannt. Im Februar 2013 beantragte er bei dem klagenden überörtlichen Träger der Sozialhilfe die Einräumung eines persönlichen Budgets für "Hauswirtschaft, Begleitung (Mobilität), Betreuung und ggf. Pflege". Etwa sechs Wochen später führten zwei Mitarbeiter des Klägers mit dem Hilfeempfänger in dessen Wohnräumen ein Budgetgespräch. Dabei wurde festgestellt, dass der Hilfeempfänger keine pädagogische oder psychosoziale Betreuung benötigt. Daraufhin wurde ihm mitgeteilt, dass die sachliche Zuständigkeit für die von ihm begehrten Unterstützungsleistungen bei dem beklagten örtlichen Träger der Sozialhilfe liege. Wegen der seit der Antragstellung verstrichenen Zeit sah sich der Kläger aber gehindert, den Leistungsantrag an den Beklagten weiterzuleiten. Stattdessen bewilligte er dem Hilfeempfänger mit Bescheid vom 15. Mai 2013 ein persönliches Budget in Höhe von 250 Euro monatlich für die Zeit vom 1. März bis 31. August 2013. Dabei trete man in Vorleistung für den Beklagten, der für die Leistung an sich zuständig sei.
Noch am selben Tag meldete der Kläger bei dem Beklagten einen Erstattungsanspruch an und bat um "zeitnahe Übernahme des Falles". Für die auf der Grundlage des § 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) bewilligten Leistungen sei an sich der örtliche Träger der Sozialhilfe zuständig. Nach Prüfung der Aktenlage lehnte der Beklagte im Oktober 2014 eine Erstattung der vom Kläger erbrachten Leistungen ab.
Am 9. Dezember 2015 (Eingangsdatum) hat der Kläger daraufhin Klage auf Zahlung von 1.500 Euro nebst Zinsen zum Sozialgericht Kassel erhoben. Die Nebenforderung hat er später nicht weiterverfolgt. Der Klageanspruch folge aus §§ 102 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Der Kläger sei im Außenverhältnis gegenüber dem Hilfeempfänger zuständiger Rehabilitationsträger gemäß § 14 SGB IX geworden, weil er den Antrag nicht rechtzeitig weitergeleitet habe. Der Beklagte sei ihm gegenüber als der an sich für die erbrachten Leistungen sachlich zuständige Sozialhilfeträger zur Erstattung verpflichtet. Der Beklagte ist der Klageforderung entgegengetreten.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 12. April 2016 abgewiesen. Die zulässige Klage sei nicht begründet. Der vom Kläger geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch sei nicht gegeben, weil der Kläger im Bewilligungsverfahren den sog. Interessenwahrungsgrundsatz nicht ausreichend berücksichtigt habe. Im Rahmen der Bedürftigkeitsfeststellung habe er weder die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Hilfeempfängers noch dessen eventuelle Ansprüche gegen andere Sozialleistungsträger hinreichend ermittelt. Die Durchsetzung der Klageforderung scheitere zudem an der Bagatellgrenze des § 110 Abs. 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII). Danach hätten Sozialhilfeträger einander keine Kosten unter 2.560 Euro (bezogen auf einen Zeitraum der Leistungserbringung von bis zu zwölf Monaten) zu erstatten. Diese Regelung finde gemäß § 37 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I) nicht nur auf die im SGB XII spezialgesetzlich normierten, sondern auch au...