Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Altenhilfe. Kosten der Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen. intendiertes Ermessen. Entschließungsermessen. Auswahlermessen. keine altersbedingte Schwierigkeit. keine Abweichung von der Begrenzung der Leistungen der Sozialhilfe auf das soziokulturelle Existenzminimum

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 71 SGB XII umfasst nur Leistungen zur Abmilderung spezifischer Probleme des Alters. Die Tatbestandsvoraussetzungen der übrigen Bestimmungen des SGB XII dürfen nicht dadurch erweitert werden, dass im Rahmen der "Altenhilfe" Leistungen erbracht werden, mit denen die im Sinne eines soziokulturellen Existenzminimums begrenzten Leistungen zum Lebensunterhalt umgangen werden.

2. Die Anordnung intendierten Ermessens in § 71 SGB XII bezieht sich nur auf die Entschließungsentscheidung. Sie ändert nichts an der Regelung des § 17 Abs. 2 SGB XII, wonach über Art und Maß der Leistungserbringung nach pflichtmäßigem Ermessen zu entscheiden ist, soweit das Ermessen nicht ausgeschlossen wird.

 

Normenkette

SGB XII § 71 Abs. 1, 2 Nr. 6, § 42 Nr. 3, § 17 Abs. 2; SGB I § 39

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 24.02.2016; Aktenzeichen B 8 SO 11/14 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 8. März 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Leistungen der Altenhilfe streitig.

Der Kläger ist 1940 geboren und erhält von der Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Am 31. August 2008 beantragte er bei der Beklagten Leistungen der Altenhilfe nach § 71 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (Sozialhilfe - SGB XII) zum regelmäßigen Besuch seines Elterngrabes in X-Stadt sowie von Verwandten in Y-Stadt und Z-Stadt und für den monatlichen Besuch von kulturellen Veranstaltungen. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2007 forderte die Beklagte ihn auf, den Bedarf zu beziffern. Gleichzeitig übersandte sie ihm das Freizeit- und Kulturprogramm der Beklagten. Daraufhin gab der Kläger am 17. Oktober 2007 an, sein Elterngrab in X-Stadt monatlich besuchen zu wollen. Auf dem Rückweg wolle er bei seiner Nichte, die seit 30 Jahren an Multipler Sklerose leide, vorbeifahren. Auch seinen Bruder in Y-Stadt wolle er monatlich besuchen. Insgesamt benötige er, auch für Veranstaltungsbesuche, 200,00 Euro monatlich.

Durch Bescheid vom 26. November 2007 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen nach § 71 SGB XII ab. Dabei verwies sie darauf, dass die geltend gemachten Bedarfe bereits von den Regelleistungen umfasst seien, zumal die Bezifferung des Bedarfs überzogen sei. Weder wegen der Grabpflege noch wegen monatlicher Fahrten für Verwandtenbesuche könnten Leistungen über den Regelbedarf hinaus gewährt werden. Persönliche Besuche des Klägers bei den Verwandten seien wegen moderner Telekommunikationsmittel nicht unbedingt notwendig. Der Zweck der Leistung nach § 71 SGB XII bestehe in der Verhinderung der Vereinsamung von Sozialhilfeempfängern. Diese Gefahr bestehe beim Kläger nicht, da er in Gemeinschaft mit seiner Ehefrau lebe. Leistungen für kulturelle Veranstaltungen seien vom Regelsatz abgedeckt. Im Übrigen erhalte der Kläger einen Mehrbedarf nach § 42 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII, wodurch sein finanzieller Spielraum erweitert sei. Eine andere Entscheidung könne nach pflichtgemäßem Ermessen nicht getroffen werden.

Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch vom 12. Dezember 2007, den der Kläger vor allem mit seinem dringendem Bedürfnis, sein Elterngrab zu besuchen, begründete sowie damit, dass seine Nichte nicht mehr sprechen könne, nahm die Beklagte durch Bescheid vom 2. Januar 2008 den Bescheid vom 26. November 2007 teilweise zurück und erklärte die Bereitschaft zur Übernahme von Kosten für zwei bis drei Besuchsfahrten zur Nichte des Klägers, da mit dieser eine Kommunikation ohne einen persönlichen Besuch nicht möglich sei. Im Übrigen bleibe es bei der Ablehnung von Leistungen für Besuchsfahrten. Es müsse vermieden werden, dass Leistungsempfänger durch Kannleistungen besser stünden, als Bürger der unteren Einkommensschicht. Die Interessenabwägung ergebe beim Kläger, dass Leistungen der Altenhilfe teilweise gewährt und teilweise versagt würden.

Durch Widerspruchsbescheid vom 21. April 2008 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 26. November 2007 in der Gestalt des Bescheides vom 2. Januar 2008 als unbegründet zurück und wies darauf hin, dass Leistungen nach § 71 Nr. 5 SGB XII in der Regel keine finanziellen Leistungen darstellten, sondern in der Organisation von Aufführungen und Unterhaltungsnachmittagen ohne das Angebot verbilligter Karten bestünden. Die Verbindung zum Bruder könne schriftlich und fernmündlich aufrecht erhalten werden. Für die Finanzierung von Besuchen am Elterngrab bestehe keine Rechtsgrundlage.

Dagegen richtet sich die am 15. Mai 2008 zum Sozialgericht erhobene Klage, welches dieses durch Urteil vom 8. März ...

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