Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs des Verfahrensbeteiligten wegen überlanger Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens
Orientierungssatz
1. Der Entschädigungsanspruch des Verfahrensbeteiligten wegen überlanger Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens setzt nach § 202 S. 2 SGG i. V. m. § 198 Abs. 3 S. 1 GVG voraus, dass er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat.
2. Ist die Verzögerungsrüge zweckwidrig erhoben, so ist sie als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren, mit der Folge, dass ein Entschädigungsanspruch ausgeschlossen ist.
3. Im Übrigen bemisst sich die von einem Beteiligten hinzunehmende Dauer des Verfahrens danach, welche Wartezeit ihm im Einzelfall zugemutet werden kann (BSG Urteil vom 3. 9. 2014, B 10 ÜG 2/13 R).
4. Ein Entschädigungsanspruch ist ausgeschlossen, wenn die dem Entschädigungsverfahren zugrunde liegende Klage aussichtslos und dies für den Kläger erkennbar war und er durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat.
Nachgehend
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 1.200,- Euro festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger macht einen Anspruch auf Entschädigung in Geld wegen der nach seiner Auffassung unangemessenen Dauer des vor dem Sozialgericht Marburg unter dem Aktenzeichen S 8/5 AS 118/12 geführten Verfahrens geltend.
Das Ausgangsverfahren betraf nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) zu übernehmende Aufwendungen für eine Einzugsrenovierung und hatte folgenden Hintergrund: Der im Oktober 1970 geborene Kläger, der seit dem 1. Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende von dem Beigeladenen erhält, befand sich 2011 auf Wohnungssuche. Er beantragte in diesem Zusammenhang mit Schreiben vom 2. November 2011 bei dem Beigeladenen Leistungen für eine Wohnungserstausstattung und die Übernahme von Aufwendungen für die Einzugsrenovierung für eine „D-Straße“ in A-Stadt gelegene Wohnung, von deren alsbaldigen Bezug durch den Kläger er selbst und der Beigeladene zu diesem Zeitpunkt ausgingen. Der Beigeladene bewilligte ihm daraufhin mit Bescheid vom 8. November 2011 einen Betrag von 372,- Euro für die Wohnungserstausstattung. Der Kläger erhob mit Schreiben vom 13. November 2011 Widerspruch gegen diesen Bescheid und erinnerte mit einem weiteren Schreiben vom 5. Dezember 2011 daran, dass er auch die Übernahme der Kosten für eine Einzugsrenovierung beantragt habe. Der Beigeladene informierte ihn daraufhin mit Schreiben vom 6. Dezember 2011 über die Voraussetzungen für die Übernahme entsprechender Aufwendungen. Der Kläger legte Widerspruch gegen die nach seiner Auffassung mit diesem Schreiben zum Ausdruck gebrachte Ablehnung der beantragten Kostenübernahme ein. Der Beigeladene wies diesen durch Widerspruchsbescheid vom 21. März 2012 als unzulässig zurück, da das Schreiben vom 6. Dezember 2011 kein Verwaltungsakt gewesen sei, sondern lediglich Erläuterungen und Hinweise zu einer möglichen Gewährung von Leistungen für Renovierungskosten enthalten habe.
Unterdessen war der Kläger - am 1. Dezember 2011 - in eine andere, die von ihm noch heute bewohnte Wohnung umgezogen. Dennoch erhob er am 30. April 2012 im Ausgangsverfahren Klage unter Bezeichnung des Klagegegenstandes als „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und in der Gemeinschaft“ und mit dem Antrag, den Bescheid des Beigeladenen vom 6. Dezember 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2012 aufzuheben und diesen zu verpflichten, „die notwendigen Sozialleistungen zukünftig zu erbringen, und festzustellen, dass die Bescheide in die Rechte des Klägers eingreifen“. Die Begründung beschränkte sich auf folgende Ausführungen: „Die Klage ist zulässig und begründet. Mit dem angegriffenen Widerspruchsbescheid ist das Vorverfahren beendet. Der Kläger ist, wie es bei dem Beklagten üblich ist, nicht vor Erlass der Bescheide gehört worden. Bei dem Widerspruchsbescheid verhält es sich gleich. Weiterer Vortrag folgt.“
Das Ausgangsverfahren entwickelte sich sodann wie folgt: Der Beigeladene beantragte mit Eingang bei Gericht am 3. Juli 2012 die Abweisung der Klage. Unter dem 23. Juli 2013 wies das Sozialgericht auf Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage hin und fragte an, ob die Beteiligten mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung oder durch Gerichtsbescheid einverstanden seien. Unter dem 4. September 2013 vermerkte die Kammervorsitzende, dass der Kläger in anderen Verfahren wegen des Todes seines Vaters um Verlängerung dort laufender Fristen gebeten habe; deswegen werde von einer Erinnerung an die Beantwortung des Schreibens vom 23. Juli 2013 zunächst abgesehen. Mit Schreiben vom 5. September 2013 übermittelte das Gericht sodann die zwischenzeitlich eingegangene Erklärung des Beigeladenen, er sei mit einem Urte...