Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenbehandlung. kein Anspruch auf Versorgung mit einer beidseitigen Mamma-Augmentationsplastik bei Mann-zu-Frau Transsexualität. Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts
Orientierungssatz
1. Der Behandlungserfolg für den die Krankenkasse einzustehen hat, bemisst sich bei geschlechtsangleichenden Maßnahmen auch bei einem bestehenden Leidensdruck wegen des inneren Konfliktes zwischen äußerlichem Erscheinungsbild und seelischem Empfinden nicht nach der subjektiven Vorstellung der betroffenen Person. Maßgebend ist vielmehr, ob aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eingetreten ist (vgl BSG vom 28.9.2010 - B 1 KR 5/10 R = SozR 4-2500 § 27 Nr 20). Es besteht jedoch kein Anspruch auf eine möglichst große Annäherung an ein vermeintliches Idealbild (vgl LSG Dresden vom 3.2.1999 - L 1 KR 31/98). Hierbei ist auch nicht allein auf das Erscheinungsbild der weiblichen Brust abzustellen, sondern auf das Gesamtbild.
2. Die Verfassungswidrigkeit von § 8 Abs 1 Nr 4 TSG (vgl BVerfG vom 11.1.2011 - 1 BvR 3295/07 = BVerfGE 128, 109) betrifft allein den Verstoß gegen Art 2 Abs 1 GG iV mit Art 1 GG durch die Anknüpfung der personenstandsrechtlichen Rechtsfolgen an die Durchführung der Operation und zielt auf eine Nichtdiskriminierung der Transsexuellen, die keine Operation durchführen. Hiervon unabhängig ist die leistungsrechtliche Perspektive, die einerseits gerade auf die Linderung des Leidensdrucks durch die deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild einer Frau abzielt, andererseits Begrenzungen im Hinblick auf den geschuldeten Behandlungserfolg bedarf.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 24. März 2010 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die bei der Beklagten versicherte Klägerin begehrt die Versorgung mit einer beidseitigen Mamma-Augmentationsplastik.
Die 1949 geborene Klägerin wurde seit März 2005 aufgrund einer Mann-zu-Frau Transsexualität mit gegengeschlechtlichen Hormonen behandelt.
Mit Anträgen bzw. Verordnung vom 3. März 2006 und 30. November 2006 begehrte die Klägerin u.a. eine geschlechtsangleichende Operation, eine Epilationsbehandlung sowie eine beidseitige Mamma-Augmentationsplastik.
Mit Bescheid vom 28. Juni 2007 bewilligte die Beklagte die Kostenübernahme einer genitalangleichenden Operation in einem Vertragskrankenhaus und lehnte u.a. die Kosten eines Brustaufbaus ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass es von Natur aus völlig unterschiedliche Entwicklungsumfänge der Brust gäbe. Ein kleiner Brustumfang entspreche ebenso wie ein großer Brustumfang dem Leitbild einer Frau. Möglicherweise bestehende medizinische Leitvorstellungen vom Umfang der weiblichen Brust seien für den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung ebenso unerheblich wie eine von der Versicherten entwickelte subjektive Vorstellung.
Der hiergegen gerichtete Widerspruch ist am 5. Juli 2007 bei der Beklagten eingegangen. Bereits im Rahmen der Krankenhauseinweisung sei die Notwendigkeit eines Brustaufbaus im Zusammenhang mit einer geschlechtsangleichenden Operation dokumentiert worden. Es gehe nicht um den Wunsch nach Vergrößerung einer bestehenden weiblichen Brust, sondern um das erstmalige Bilden einer weiblichen Brust. Die gegenwärtig noch vorhandene männliche Brust habe nichts mit dem Leitbild einer Frau zu tun. Die Versicherte habe nicht den Wunsch nach einer besonders großen Brust. Wenn die entscheidenden Geschlechtsmerkmale nicht in die Operation miteinbezogen werden würden, sei der Erfolg der gesamten Operation infrage gestellt. Die Klägerin verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 3/03, wonach Dysmorphophobie, auf die sich der Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Hessen (MDK) in dem im Widerspruchsverfahren eingeholten Gutachten bezogen habe, nicht mit der Transsexualität vergleichbar sei. Es sei vielmehr eine Veränderung der äußeren Geschlechtsmerkmale zu verlangen, was auch § 8 des Transsexuellengesetzes (TSG) zeige.
Ein Widerspruch gegen die Ablehnung der Durchführung der Operation in einer Privatklinik wurde zwischenzeitlich nicht weiterverfolgt. Bei der Klägerin wurde im Zeitraum vom 1. Oktober bis 24. Oktober 2007 eine geschlechtsangleichende Operation der Genitalien entsprechend der Bewilligung im Bescheid vom 28. Juni 2007 im Universitätsklinikum C-Stadt durchgeführt.
Die Beklagte konsultierte im Rahmen des Widerspruchsverfahrens den MDK zur Frage der medizinischen Voraussetzungen der Leistungsgewährung in Gestalt einer MammaAugmentationsplastik. In seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 15. Februar 2008 führte Dr. E. aus, dass in einigen wenigen ausgesuchten Fällen eine medizinische Indikation zur Durchführung einer Mamma-Augmentationsplasti...