Revision
Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegeunfall. Auftanken. Abweg
Leitsatz (amtlich)
Wird der Reservetank eines Pkw auf der Fahrt zur Arbeitsstelle in Anspruch genommen, so darf der Versicherte von der Notwendigkeit des Auftankens auf dem Weg von der Arbeitsstelle nach Hause ausgehen. Dies gilt umsomehr, wenn er keine Möglichkeit zum Nachtanken am nächsten Tag vor oder während der Fahrt zur Arbeitsstelle hat, weil ihn der Arbeitgeber unerwarteter weise am Abend zuvor zur Frühschicht eingeteilt hat. Dieser aus der Sicht des Versicherten zum Nachtanken notwendige, objektiv aber nicht erforderliche Weg steht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Normenkette
RVO §§ 550, 539 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
SG Gießen (Urteil vom 08.12.1992; Aktenzeichen S-6/Kn-850/92 U) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 8. Dezember 1992 und der Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 1991 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 28.10.1991 Verletztenrente in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Verkehrsunfalles als Wegeunfall.
Der 1970 geborene Kläger war als Kraftfahrzeugschlosser unter Tage in der … der … beschäftigt. Am 28. Oktober 1991 nach Ende seiner Mittagsschicht verunglückte der Kläger um 22.30 Uhr auf dem Weg zur Nachttankstelle … mit seinem Personenkraftwagen und zog sich eine Querschnittlähmung zu. Aufgrund der Unfallanzeige vom 11. November 1991 befragte die Beklagte den Sicherheitsingenieur, ein Betriebsratsmitglied und den Obersteiger (Vater des Klägers) zu dem Unfallereignis. Danach ergab sich, daß dem Kläger während seiner Mittagsschicht am 28. Oktober 1991 mitgeteilt worden war, daß er am nächsten Tag um 6.00 Uhr morgens Frühschicht fahren müsse. Der Kläger habe deshalb nicht mehr, wie von ihm vorgesehen, am Morgen des 29. Oktobers in seinem Heimatort … tanken können. Da sein Tankanzeiger aber schon seit längerer Zeit auf rot gestanden habe, habe er versucht, noch am gleichen Abend an der Automatentankstelle in …, ca. 2 Km von der Arbeitsstelle entfernt, in Gegenrichtung zu seinem Heimatort, zu tanken. Da diese nicht funktioniert habe, habe er zur Nachttankstelle nach … fahren wollen. Auf dem Wege dorthin habe er bei … auf der Kreisstraße 17 wegen eines Wildtieres bremsen müssen und sei dadurch ins Schleudern geraten.
Mit Bescheid vom 18. Dezember 1991 lehnte es die Beklagte ab, den Unfall als Arbeitsunfall im Sinne des § 550 Reichsversicherungsordnung (RVO) anzusehen. Das Betanken des privaten Kraftfahrzeuges sei grundsätzlich als eigenwirtschaftliches Handeln zu werten. Nur wenn unerwartet bei Antritt oder während der Fahrt von oder zum Arbeitsplatz sich die Notwendigkeit zum Tanken ergebe, könne für einen Umweg zur Tankstelle Versicherungsschutz anerkannt werden. Diese Voraussetzung läge nicht vor, weil der Kläger schon längere Zeit im roten Bereich der Tankanzeige gefahren sei. Im übrigen sei auch der Weg zur Nachttankstelle in … um ein vielfaches weiter gewesen, als der Heimweg und der Anweg am nächsten Morgen.
Den Widerspruch vom 9. Januar 1992 legte die Beklagte am 10. August 1992 dem Sozialgericht Gießen als Klage vor. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 8. Dezember 1992 die Klage mit der gleichen Begründung wie im Bescheid zurückgewiesen.
Gegen das ihm am 4. Januar 1993 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2. Februar 1993 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Der Senat hat den Kläger persönlich und den Vater des Klägers, … als Zeuge angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 9. März 1994 verwiesen.
Der Kläger trägt zusätzlich zum bisherigen Vorbringen noch vor, daß er als Führerscheinneuling nicht habe einschätzen können, wie lange er mit dem erst drei Monate alten Pkw noch habe fahren können. Subjektiv sei er der Ansicht gewesen, das abendliche Tanken sei notwendig gewesen, um am nächsten Tag seine Arbeitsstelle zu erreichen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 8. Dezember 1992 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 1991 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Unfalles vom 28. Oktober 1991 Verletztenrente in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte, die das erstinstanzliche Urteil für zutreffend hält, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung (§§ 143, 145, 151 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG– i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 19. Januar 1993, BGBl. I 1993, S. 50, 56) ist sachlich...