Leitsatz (amtlich)

Ehebruchskind ist kein Stiefkind.

 

Verfahrensgang

SG Marburg (Urteil vom 08.04.1974)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 14.07.1977; Aktenzeichen 4 RJ 107/76)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg/Lahn vom 8. April 1974 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Kinderzuschuß zur Erwerbsunfähigkeitsrente für ein sogenanntes “Ehebruchskind”.

Der 1972 verstorbene Ehemann der Klägerin, V. P. erhielt aufgrund Bescheids der Beklagten vom 12. August 1952 mit Wirkung ab 1. Juni 1951 Invalidenrente.

Während der Ehe mit der Klägerin hat diese am 8. Juni 1967 das Kind M. geboren. Das Landgericht Marburg hat auf die Klage des V. P. durch Urteil vom 21 Februar 1968 (1 R 90/67) festgestellt, daß das Kind M. kein eheliches des V. P. ist. Durch Urteil vom 30. Juli 1971 hat das Amtsgericht Marburg festgestellt (10 C 77/71), daß Vater des Kindes M. P. der kaufmännische Angestellte M. L. ist.

Da das Kind ab seiner Geburt mit den Eheleuten P. in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, beantragte der Ehemann der Klägerin am 25. Oktober 1970 bei der Beklagten für dieses Kind Kinderzuschuß gemäß § 1262 Abs. 2 Nr. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO). Mit Bescheid vom 2. März 1973 berechnete die Beklagte die mit Bescheid vom 12. August 1952 bewilligte Rente neu. Zu diesem Zusatz in diesem Bescheid heißt es wie folgt:

“Für das Kind M. P., geb. 1967 besteht kein Anspruch auf Kinderzuschuß, weil das Pflegekindschaftsverhältnis nicht vor Eintritt des Versicherungsfalles begründet worden ist.”

Gegen diesen Bescheid wandte sich die Klägerin mit ihrer Klage und trug vor, das Kind habe unter, Fortbestand der Ehe im Familienhaushalt des Rentenberechtigten gelebt. Demnach sei es als Stiefkind im Sinne der rentenrechtlichen Vorschriften zu behandeln, so daß Kinderzuschuß für die Zeit vom 1. Juni 1967 (Geburtsmonat des Kindes) bis zum 30. Juni 1972 (Sterbemonat des Rentenberechtigten) zu gewähren sei.

Die Beklagte vertrat den Standpunkt, ein Kinderzuschuß könne nicht beansprucht werden, da das Kind M. kein Stiefkind sei. Allenfalls könne ein Pflegekindschaftsverhältnis in Betracht kommen, das allerdings in vorliegendem Fall ebenfalls keinen Anspruch auf Kinderzuschuß nach § 1262 Abs. 2 Nr. 7 RVO zuließe, da es erst nach Eintritt des Versicherungsfalles begründet worden sei.

Demgegenüber trug die Klägerin vor, der Rentenberechtigte habe dem Kind regelmäßig Dienste und Leistungen zugewandt. Ferner sei das Kind von ihm während ihrer beruflichen Tätigkeit beaufsichtigt, erzogen und gepflegt worden. Auch seien regelmäßig Geldleistungen für Kleidung und Nahrung erbracht worden.

Durch Urteil vom 8. April 1974 hat das Sozialgericht 2. März 1973 abgeändert und festgestellt, daß Kinderzuschuß für das Kind M. für den beantragten Zeitraum zu gewähren sei. Darüber hinaus hat es gemäß § 150 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung zugelassen.

Gegen dieses der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 26. April 1974 zugestellte Urteil richtet sich ihre durch Schriftsatz vom 3. Mai 1974 - eingegangen beim Hessischen Landessozialgericht am 8. Mai 1974 - eingelegte Berufung. Zur Begründung trägt sie vor, ihr Bescheid vom 2. März 1973 sei zu Recht ergangen, denn die Voraussetzungen für die Gewährung von Kinderzuschuß gemäß § 1262 Abs. 2 Nr. 2 RVO seien im Falle des Kindes M. P. nicht gegeben.

Unter Hinweis auf die in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansichten vertritt die Beklagte die Auffassung, auch nach heutiges Sprachgebrauch und heutiger Verkehrsanschauung seien nur diejenigen - ehelichen oder unehelichen - Kinder als Stiefkinder zu betrachten, die der andere Ehegatte in die Ehe eingebracht habe. Bei dem Kind M. hingegen handele es sich nicht um ein solches “in die Ehe eingebrachtes” Kind, sondern um ein sogenanntes “Ehebruchskind”, das nicht zu den anspruchsberechtigten Kindern im Sinne des § 1262 Abs. 2 Nr. 2 RVO gehöre.

Die gegenteilige Meinung des Sozialgerichts könne somit nicht überzeugen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 8. April 1974 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Zur Begründung beruft sie sich im wesentlichen auf die nach ihrer Auffassung zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.

Ergänzend trägt sie vor, die Verkehrsanschauung habe sich sehr wohl hinsichtlich des Begriffes des Stiefkindes im Laufe der Zeit geändert.

Vor allem aber dürfe nicht zwischen Stiefkind im Sinne des Bürgerlichen Rechts und dem des Sozialrechts differenziert werden. Nach jenem Recht sei nämlich unbestritten ein während des Bestehens der Ehe geborenes außereheliches Kind ein Stiefkind. Dies müsse auch für dem Sozialrecht gelten, da ansonsten eine Ungleichbehandlung von in die Ehe eingebrachten und in der Ehe geborenen Stiefkindern auf der Grundlag...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge