Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenerstattung. Hilfsmittel. unmittelbarer Behinderungsausgleich. kostenaufwändige Versorgung. technische Verbesserung. Umbau einer Oberschenkelprothese mit C-Leg-System in EX. Prothetic System. wesentlicher Gebrauchsvorteil. kein Verweis auf Einsatz der kostengünstigeren Alternative über einen längeren Zeitraum. Verzinsung
Leitsatz (amtlich)
1. In den Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenversicherung ist beim so genannten unmittelbaren Behinderungsausgleich auch eine kostenaufwändige Versorgung dann eingeschlossen, wenn durch sie eine Verbesserung bedingt ist, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer kostengünstigeren Alternative bietet, der von dem Versicherten auch konkret nutzbar ist.
2. Handelt es sich um technische Verbesserungen eines Hilfsmittels, die zu wesentlichen Gebrauchsvorteilen führen, die der Versicherte auch nutzen kann, kann dieser von der Krankenkasse nicht darauf verwiesen werden, zunächst über einen längeren Zeitraum das technisch unterlegenere, aber kostengünstigere Hilfsmittel zum unmittelbaren Behinderungsausgleich einzusetzen.
Orientierungssatz
1. Zum Anspruch auf Erstattung der Kosten für den Umbau einer Oberschenkelprothese mit C-Leg-Prothesensystem in eine Oberschenkenprothese nach dem EX. Prothetic System.
2. Die Verzinsung eines Kostenerstattungsanspruchs entspricht dem Zweck des § 44 Abs 1 SGB 1, die Nachteile verspäteter Zahlung auszugleichen und die Rechtsstellung des Einzelnen zu stärken, indem sie die sozialrechtlichen Ansprüche weitgehend den schuldrechtlichen Ansprüchen angleicht (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 4.12.2009 - L 1 KR 5/09).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 27. Mai 2015 und der Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2013 und der Bescheid vom 12. November 2013 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die Kosten der Umversorgung einer Oberschenkelprothese mit C-Leg-Prothesensystem in eine Oberschenkelprothese nach dem EX. Prothetic System von E. i.H.v. 26.196,87 € nebst Zinsen i.H. von 4 Prozentpunkten hieraus seit dem 1. Januar 2014 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Klage- und Berufungsverfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Kostenerstattung für den Umbau einer Oberschenkelprothese mit C-Leg-Prothesensystem in eine Oberschenkelprothese nach dem EX. Prothetic System von E. (EX-Kniegelenk) i.H.v. 26.196,87 €.
Bei dem 1935 geborenen Kläger besteht ein Z.n. dem Verlust des Unterschenkels im li. Kniegelenk (Kniegelenkexartikulation im April 2012) infolge eines Sportunfalls. Aufgrund der ärztlichen Verordnung von Dr. F. wurde der Kläger nach der Interimsversorgung im Juli 2012 mit einer Oberschenkelprothese mit C-Leg-Prothesensystem zu Lasten der Beklagten versorgt (Kostenzusage durch die Beklagte i.H.v. 28.738,23 € am 13. November 2012). Ende Juli 2012 und Anfang Mai 2013 erfolgte durch das Sanitätshaus G. jeweils für ca. 1 Woche eine Probeversorgung mit dem EX-Kniegelenk.
Unter dem 14. August 2012 beantragte das Sanitätshaus G. für den Kläger unter Beifügung einer ärztlichen Verordnung von Dr. F. vom 10. August 2012 und einem Kostenvoranschlag vom 15. August 2012 über 45.965,49 € bei der Beklagten eine Beinprothesenversorgung mit dem EX-Kniegelenk. Zur Begründung wies es darauf hin, dass der Kläger täglich eine Wegstrecke von ca. 500 Metern zurücklege und bis zu 50 Treppenstufen bewältige. Der Kläger lebe in einer hügeligen Umgebung, sodass er täglich Schrägen und Rampen bewältigen müsse. In der von ihm bewohnten Doppelhaushälfte mit 2 Etagen sei zudem kein Fahrstuhl vorhanden. Der Kläger sei körperlich sehr aktiv, betreibe Sport und lebe von Oktober/November bis April seit Jahren in seiner Ferienwohnung auf Teneriffa. Die einwöchige Probeversorgung des Klägers mit dem EX-Kniegelenk Ende Juli 2012 habe gezeigt, dass es unter Verwendung des EX Kniegelenks zu einer Erhöhung der Sicherheit, einer deutlichen Entlastung der Gegenseite, einer Verbesserung des harmonischen Gangbildes sowie zu einer deutlichen Verbesserung der Geh- bzw. Stehfähigkeit u.a. bei den folgenden Verrichtungen komme: Treppauf-Gehen, Übersteigen von Hindernissen, Stehen auf ebenem und schrägem Untergrund, Gehen auf der Schräge, Rückwärts-Gehen, Tragen von Gegenständen. Diese Verbesserungen wirkten sich wesentlich sowohl bei der Mobilität des Klägers als auch beim Einkaufen, bei der persönlichen Hygiene und beim Ankleiden, bei sportlichen Aktivitäten und im allgemeinen Sozialleben aus. Die Beklagte gab ein sozialmedizinischen Gutachten bei dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) in Auftrag. Dr. H., Arzt für Orthopädie-Rheumatologie, Physikalische und Rehabilitative Medizin, Chirotherapie, Sportmedizin, ...