Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung – freiwillige Versicherung. Pflichtversicherung. Doppelversicherung. Doppelmitgliedschaft. Formalmitgliedschaft. Beitragsannahme. Kassenzuständigkeit. Beitragserstattung. Bindungswirkung. öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Mitgliedschaft eines freiwillig (weiter-)versicherten Mitglieds bei einer gesetzlichen Krankenkasse endet gemäß § 312 Absatz 1 RVO mit Eintritt der Pflichtversicherung und Pflichtmitgliedschaft bei einer anderen Krankenkasse. Die weitere Entgegennahme von freiwilligen Beiträgen bewirkt nicht gemäß § 315 RVO die Fortdauer der freiwilligen Mitgliedschaft als formale Mitgliedschaft mit Vorrang vor der Pflichtmitgliedschaft.

2. Die während der Zeit der Pflichtversicherung und Mitgliedschaft bei der Pflichtkasse entrichteten freiwilligen Beiträge kann der Versicherte zurückfordern, gleichgültig ob der Beitragsentrichtung bindende Beitragsbescheide zugrunde liegen und Leistungen erbracht wurden.

 

Leitsatz (redaktionell)

Zum Verhältnis von Pflichtmitgliedschaft zur freiwilligen Versicherung:

1. Die Mitgliedschaft eines freiwillig (weiter-)versicherten Mitglieds bei einer gesetzlichen Krankenkasse endet gemäß § 312 Abs 1 RVO mit Eintritt der Pflichtversicherung und Pflichtmitgliedschaft bei einer anderen Krankenkasse. Die weitere Entgegennahme von freiwilligen Beiträgen bewirkt nicht gemäß § 315 RVO die Fortdauer der freiwilligen Mitgliedschaft als formale Mitgliedschaft mit Vorrang vor der Pflichtmitgliedschaft.

2. Die während der Zeit der Pflichtversicherung und Mitgliedschaft bei der Pflichtkasse entrichteten freiwilligen Beiträge kann der Versicherte zurückfordern, gleichgültig ob der Beitragsentrichtung bindende Beitragsbescheide zugrunde liegen und Leistungen erbracht wurden.

 

Normenkette

RVO §§ 213, 225, 312 Abs. 1, §§ 315-316; SGG § 77; SGB IV § 26

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 28.11.1980; Aktenzeichen S 9/Kr-55/79)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 28. November 1980 wird zurückgewiesen.

II. Auf die Anschlußberufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 28. November 1980 insoweit aufgehoben, als darin eine Verrechnung der zu Unrecht entrichteten Beiträge gegen die in der Zeit vom 1. Januar 1976 bis 8. Februar 1977 gewährten Leistungen vorgesehen wird.

III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

IV. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Beiträgen, die der Kläger als freiwillig weiterversicherte Mitglied in der Zeit vom 1. Januar 1976 bis 31. Dezember 1976 an die beklagte Betriebskrankenkasse (BKK) S. & F. entrichtet hat.

Der 1941 geborene Kläger war bis zum 31. Juli 1974 bei der Firma S. & F. als Ladenmetzger beschäftigt und Pflichtmitglied der Beklagten. Seit 1. August 1974 ist er in der Metzgerei seines beigeladenen Vetters W. W. beschäftigt, der Alleininhaber des Betriebes und mit diesem in die Handwerksrolle eingetragen ist. Auf Antrag vom 31. Juli 1974 wurde der Kläger bei der Beklagten gemäß § 313 Reichsversicherungsordnung (RVO) freiwillig weiterversichert. Ihm und seiner Familie wurden am 7. Mai und 9. September 1975 ärztliche Behandlung sowie am 5. Januar, 23. März/21. Mai, 15. Juni/22. Juli und 22. Juni/2. Juli 1976 Heil- und Hilfsmittel in Höhe von insgesamt 185,20 DM gewährt; für Krankenhauspflege in der Zeit vom 20. bis 24. April 1976 entstanden Kosten in Höhe von 941,– DM.

Auf Grund einer Lohnbuch- und Betriebskontrolle der Innungskrankenkasse (IKK) Frankfurt am Main vom 1. Februar 1977 wurde festgestellt, daß der Kläger ab 1. Januar 1976 mit einem Bruttogehalt von 2.170,44 DM infolge der Anhebung der Versicherungspflichtgrenze in der Krankenversicherung von 2.100,– DM auf 2.325,– DM monatlich der Krankenversicherungspflicht unterlag. Die IKK stellte dem Kläger unter dem 1. Februar 1977 eine Bescheinigung über seine Mitgliedschaft gemäß § 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO ab 1. Januar 1976 aus und forderte vom Arbeitgeber für die zurückliegende Zeit Beiträge in Höhe von 3.210,26 DM nach. Mit am 10. Februar 1977 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben beantragte der Kläger daraufhin die Rückzahlung der ab 1. Januar 1976 gezahlten Beiträge. Die Beklagte gab dem Antrag ab Januar 1977 statt und überwies dem Kläger die über diesen Zeitpunkt hinaus entrichteten Beiträge. Für die vorausgehende Zeit lehnte sie eine Erstattung hingegen unter Hinweis auf Entscheidungen des Reichsversicherungsamtes (RVA) ab, weil bis zur schriftlichen Verweisung an die zuständige IKK eine Formalmitgliedschaft gemäß § 315 RVO bestanden habe und ihr und nicht der an sich zuständigen IKK danach die Beiträge zugestanden hätten. Außerdem sei dem Kläger kein Schaden entstanden, da er für die geleisteten freiwilligen Beiträge gemäß § 405 RVO einen Zuschuß vom Arbeitgeber erhalten habe und die nachträgliche Entrichtung der Pflichtbeiträge an ...

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