Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Statthaftigkeit der Übertragung eines Vertragsarztsitzes von einem medizinischen Versorgungszentrum ≪MVZ≫ auf ein anderes. Rechtsfähigkeit eines MVZ. keine erweiternde Auslegung von § 103 Abs 4a S 1 SGB 5

 

Orientierungssatz

1. § 103 Abs 4a S 1 SGB 5 ist auf die Übertragung einer Arztstelle von einem MVZ auf ein anderes nicht entsprechend anzuwenden.

2. Ein MVZ stellt sich als Zweigniederlassung nach § 13 HGB nicht als selbständige juristische Person des Privatrechts dar und ist selbst nicht rechtsfähig.

3. Eine erweiternde Auslegung von § 103 Abs 4a S 1 SGB 5 ist verfassungsrechtlich nicht geboten.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 23.03.2011; Aktenzeichen B 6 KA 8/10 R)

 

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 14. Januar 2009 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat auch die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Beklagten für das Berufungsverfahren zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 60.000 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Genehmigung der Anstellung einer Ärztin in einem medizinischen Versorgungszentrum (MVZ).

Die Klägerin betreibt das MVZ Universitätsklinikum AAB. I (im Folgenden MVZ I) sowie das MVZ Universitätsklinikum AAB. II (im folgenden MVZ II) als Zweigniederlassungen im Sinne des § 13 HGB. Mit Schreiben vom 22. Oktober 2007 beantragte sie, die Anstellung von Frau Dr. L., einer Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden im MVZ II zu genehmigen. Frau Dr. L. war bislang als angestellte Ärztin in Vollzeit beim MVZ I tätig.

Die Arztstelle, auf welcher sie im neuen MVZ II angestellt werden sollte, hatte sie bisher im MVZ I ausgefüllt. Diese Stelle sollte mit ihr ab dem 1. Januar 2008 in das neue MVZ II wechseln, in dem sie die ärztliche Leitung übernehmen sollte. Hintergrund war nach Angaben der Klägerin, dass das bisherige MVZ in ein MVZ II mit patientennäheren und sprechstundenintensiveren Leistungen (Pädiatrie, Chirurgie, Neurologie) und ein MVZ I mit weniger sprechstundenintensiven Leistungen aufgeteilt werden sollte.

Der Zulassungsausschuss stellte mit Beschluss vom 27. November 2007 fest, dass die wöchentliche Arbeitszeit von Frau Dr. L. im MVZ I von 40 Stunden auf 31 Stunden zum 1. Januar 2008 reduziert werde. Mit weiterem Beschluss vom 27. November 2007 ließ er das MVZ II zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung mit Wirkung zum 1. Januar 2008 zu, die ärztliche Leitung wurde durch Frau Dr. L. mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 9 Stunden wahrgenommen. Mit Schreiben vom 7. Dezember 2007 teilte die Klägerin mit, dass der Antrag auf Wechsel der Arztstelle der Frau Dr. L. von dem bereits seit dem Jahr 2005 zugelassenen MVZ I in das MVZ II mitsamt der Anstellung der Frau Dr. L. im MVZ II im selben Vollzeitarbeitsverhältnis wie bislang aufrechterhalten werde.

Die Beigeladene zu 1) vertrat hierzu die Auffassung, dass eine Weitergabe einer Angestelltenstelle von einem MVZ auf ein anderes im Gesetz nicht vorgesehen und damit nicht zulässig sei. Insbesondere sei eine analoge Anwendung des § 103 Abs. 4a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) nicht möglich. Hier sei lediglich die Fallgestaltung geregelt, dass ein Vertragsarzt, welcher sich anschließend in einem Medizinischen Versorgungszentrum anstellen lassen möchte, auf seine Zulassung verzichte. Eine Übertragung dieser Regelung auf Medizinische Versorgungszentren sei nicht möglich.

Der Zulassungsausschuss für Ärzte lehnte mit Beschluss vom 29. Januar 2008 (ausgefertigt: 15. April 2008) den Antrag der Klägerin auf Anstellung der Frau Dr. L. mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden ab. Zur Begründung schloss er sich der Rechtsauffassung der Beigeladenen zu 1) an. Hiergegen legte die Klägerin am 16. Mai 2008 Widerspruch ein. Sie legte eine Erklärung des MVZ I über den Verzicht auf die Kinderarztstelle zu Gunsten des MVZ II vor.

Der Beklagte wies mit Beschluss vom 6. August 2008 (ausgefertigt: 29. August 2008), der Klägerin am 1. September 2008 zugestellt, den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, ein Anspruch der Klägerin auf die von ihr beantragte Genehmigung des Übergangs der pädiatrischen Vertragsarztstelle der Frau Dr. L. vom MVZ I auf das MVZ II sei nicht ersichtlich. Eine unmittelbare Anwendung des § 103 Abs. 4a SGB V scheide aus, da die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllt seien. Auch eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift komme nicht in Betracht. Weitere Rechtsgrundlagen, die den Antrag der Klägerin zu tragen in der Lage wären, seien nicht ersichtlich.

Hiergegen hat die Klägerin am 1. Oktober 2008 Klage beim Sozialgericht Marburg erhoben und die Auffassung vertreten, ihr Anspruch ergebe sich aus § 72 Abs. 1 Satz 2 SGB V mit der daraus herzuleitenden entsprechenden Anwendung des § 103 Abs. 4a S...

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