Entscheidungsstichwort (Thema)

Private Pflegeversicherung. Pflegehilfsmitteleigenschaft eines elektrischen Multipositionsrollstuhls. Abgrenzung der Leistungspflicht von Pflegeversicherung und Krankenversicherung. Verfassungsmäßigkeit der Verpflichtung privat Krankenversicherter zum Abschluss und zur Aufrechterhaltung privater Pflegeversicherungsverträge. Gleichwertigkeitsgebot. Rechtsweg in Verfahren über Ansprüche aus privaten Krankenversicherungsverträgen

 

Orientierungssatz

1. Es besteht kein Anspruch gegen den Träger der privaten Pflegeversicherung auf Versorgung mit einem elektrischen Multipositionsrollstuhl bzw auf Übernahme der Kosten für dessen Anschaffung.

2. Um ein reines Pflegehilfsmittel, das der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zugerechnet werden kann, handelt es sich nur dann, wenn es im konkreten Fall allein oder jedenfalls schwerpunktmäßig der Erleichterung der Pflege dient. Diese Abgrenzung gilt auch dann, wenn die Krankenversicherung - etwa wegen des Fehlens eines privaten Versicherungsschutzes - im konkreten Fall nicht einzutreten hätte (vgl BSG vom 10.11.2005 - B 3 P 10/04 R = SozR 4-3300 § 40 Nr 2 und vom 6.9.2007 - B 3 P 3/06 R = SozR 4-3300 § 40 Nr 6).

3. Die Vorschriften über die Verpflichtung privat Krankenversicherter zum Abschluss und zur Aufrechterhaltung privater Pflegeversicherungsverträge sind verfassungsgemäß, weil diese durch die Gesetzgebungskompetenz des Bundes in Art 74 Abs 1 Nr 11 GG gedeckt sind und auch der mit der gesetzlichen Verpflichtung zum Abschluss und zur Aufrechterhaltung eines privaten Pflegeversicherungsvertrages verbundene Eingriff in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art 2 Abs 1 GG verfassungsgemäß ist (vgl BVerfG vom 3.4.2001 - 1 BvR 2014/95 = BVerfGE 103, 197 = NJW 2001, 1709).

4. Die Einführung der privaten Pflegeversicherung hat nicht zu einer Erweiterung des Versicherungsschutzes privat Versicherter für das Risiko der Krankheit und der infolge von Behinderung und Krankheit benötigten Hilfsmittel geführt. Das Gleichwertigkeitsgebot des § 23 Abs 1 S 2 SGB 11 kann nur dahin verstanden werden, dass es die Gleichwertigkeit der Vertragsleistungen der privaten Pflegeversicherung mit denen der sozialen Pflegeversicherung verlangt.

5. Etwaige Ansprüche aus privaten Krankenversicherungsverträgen sind auf dem Zivilrechtsweg geltend zu machen.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 17. Dezember 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt im Wege des Klageverfahrens von dem Beklagten die Versorgung im Rahmen der privaten Pflegeversicherung mit dem Hilfsmittel des Herstellers X. Typ “X Multiposition„.

Der 1949 geborene Kläger ist bei dem Beklagten seit 1983 privat krankenversichert mit Anspruch auf allgemeine Krankenhausleistungen. Er ist aufgrund dessen seit Einführung der Sozialen Pflegeversicherung (SGB XI) zum 1. Januar 1995 bei dem Beklagten auch pflegepflichtversichert. Grundlage des Pflegeversicherungsvertrages ist der Tarif “PV„ in Verbindung mit den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegeversicherung (Bedingungsteil MB/PPV). Der Kläger leidet an einer Multiplen Sklerose mit progredientem Krankheitsverlauf. Das Versorgungsamt GF. hat aufgrund dieser Erkrankung einen Grad der Behinderung von 100 sowie die Nachteilsausgleiche “B„, “G„, “aG„, und “H„ festgestellt. Seinen Beruf als Rechtsanwalt musste der Kläger wegen seiner Erkrankung aufgeben. Seit September 2000 bezieht der Kläger tarifliche Leistungen aus der Pflegeversicherung, zunächst nach der Pflegestufe I, seit Mai 2004 nach der Pflegestufe II und aufgrund eines im Gerichtsverfahren vor dem Sozialgericht Marburg (Az.: S 7 P 13/07) abgeschlossenen Vergleiches Leistungen nach Pflegestufe III ab April 2007.

Im Januar 2001 hatte der Kläger bei dem Beklagten beantragt, ihn mit einem elektrischen Rollstuhl und einer Steuerungsmöglichkeit für die rechte Hand als Leistung der Pflegeversicherung auszustatten. Der Beklagte hatte dies abgelehnt und dem Kläger angeboten, ihm einen tariflichen Zuschuss bis zu 800 € als Leistung der privaten Krankenversicherung zu zahlen. Der Kläger hatte daraufhin Klage zum Sozialgericht Marburg erhoben, welches den Beklagten mit Gerichtsbescheid vom 18. September 2002 verurteilt hatte, ihn mit einem eigenbedienbaren Elektrorollstuhl als Hilfsmittel zu versorgen. Diese Verpflichtung war dem Beklagten bereits vorab durch Beschluss im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes auferlegt worden. Der Beklagte hatte den Kläger hierauf mit einem solchen Elektrorollstuhl ausgestattet, der sich noch heute im Besitz des Klägers befindet. Auf die Berufung des Beklagten hatte das Hessische Landessozialgericht mit Urteil vom 19. August 2004 (Az.: L 14 P 1091/02) die Vorentscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die hiergegen vom Kläger eingelegte Revision hatte das Bundessozialgericht durch Urteil vom 10. November...

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