Entscheidungsstichwort (Thema)
häuslicher Wirkungskreis
Leitsatz (amtlich)
Der nach § 550 Abs. 1 RVO versicherte Weg zum Ort der Tätigkeit beginnt nicht immer erst an der Außenhaustür, wenn er von der Wohnung in einem Wohn- und Geschäftshaus angetreten wird. Für den Versicherungsschutz ist entscheidend, ob sich der Unfall in einem Bereich des Wohn- und Geschäftshauses ereignet, der notwendigerweise von einer unbestimmten Vielzahl Personen eines, nicht näher bestimmbaren Personenkreises benutzt wird.
Normenkette
RVO § 550 Abs. 1
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Urteil vom 05.02.1980; Aktenzeichen S 8/3/U-239/78) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 5. Februar 1980 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß sie unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Juni 1978 verurteilt wird, dem Kläger das Ereignis vom 29. November 1975 als Arbeitsunfall in gesetzlichem Umfange zu entschädigen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Entschädigung eines Unfalls als sog. Wegeunfall (§ 550 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung –RVO–).
Der im Jahre 1943 geborene und bei der Beklagten gegen Arbeitsunfall versicherte Kläger betreibt als Selbständiger in F., S., ein Friseurgeschäft. Unter dem 11. Dezember 1975 und dem 2. Dezember 1975 teilten seine Steuerbevollmächtigten sowie der Durchgangsarzt Prof. Dr. P. (F.) mit, daß der Kläger am 29. November 1975 vormittags auf dem Weg zu seinem Geschäft auf einer Treppe gestürzt sei und sich einen Fersenbeinbruch beiderseits zugezogen habe. Dazu berichtete Prof. Dr. P. unter dem 12. April 1976, daß Arbeitsunfähigkeit bis zum 19. April 1976 bestanden habe; ab dem 20. April 1976 müsse auf Grund vorläufiger Schätzung eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H. angenommen werden. In der förmlichen Unfallanzeige vom 1. April 1976 sowie mündlich vor dem Versicherungsamt des Magistrats der Stadt F. am 23. November 1976 gab der Kläger an, daß er in einem Haus wohne, in dem sich nur seine abgeschlossene Wohnung im 4. Stock befinde. In den unteren Stockwerken seien verschiedene Gewerbebetriebe untergebracht, deren Zugang über die gleiche von ihm benutzte Treppe im Haus führe. Am Unfalltag, einem Samstag, sei er nach Verlassen seiner Wohnung zwischen dem 1. Stockwerk und dem Erdgeschoß gestürzt. Nach vorgenommener Ortsbesichtigung durch das Versicherungsamt lehnte die Beklagte mit dem Bescheid vom 27. Juni 1978 die Gewährung der Unfallentschädigung ab, da der Kläger keinen Arbeitsunfall erlitten habe. Unter Versicherungsschutz stehende Wege im Sinne von § 550 Abs. 1 RVO begännen erst nach dem Verlassen des häuslichen Wirkungskreises. Als Grenze des häuslichen Bereichs in einem Wohnhaus mit mehreren abgeschlossenen Wohnungen gelte nicht die Wohnungs-, sondern die Haustür (= Außentür). Die Haustreppe gehöre daher noch zum unversicherten Bereich.
Gegen diesen am gleichen Tage an ihn abgesandten Bescheid hat der Kläger bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) am 27. Juni 1978 Klage erhoben und geltend gemacht, daß er nicht in einem üblichen Wohnhaus, sondern in einem Wohn- und Geschäftshaus gestürzt sei. Der Sturz habe sich in einem Bereich ereignet, der wegen der dort untergebrachten gewerblichen Betriebe der Öffentlichkeit allgemein zugänglich sei. Es handelt sich um Firmen, die häufig wechselten und dort ihre Büro- oder Lagerräume hätten. Dadurch ergäben sich auch häufig Behinderungen im Treppenaufgang. Mit Urteil vom 5. Februar 1980 hat das SG den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte „verpflichtet, den Sturz des Klägers vom 29. November 1975 als Wegeunfall anzuerkennen und den Kläger in gesetzlichem Umfange zu entschädigen.” Zur Begründung hat es ausgeführt: Im Unterschied zu den bisher getroffenen Entscheidungen in der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit handele es sich vorliegend um ein Wohn- und Geschäftshaus, das – jedenfalls im Unfallstellenbereich – von einer Vielzahl von Personen aus geschäftlichen Gründen und nicht als Bewohner benutzt werde. Durch eine solche weitgehende öffentliche Mitbenutzung werde der Einfluß des Klägers auf die Mitausgestaltung der Sicherheit des Treppenhauses ausgeschlossen, zumal er mietvertragsrechtlich noch nicht einmal verpflichtet sei, dasselbe zu putzen. Der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit stehe einer anderen Grenzziehung für den häuslichen Wirkungskreis, nämlich die Wohnungstür, nicht entgegen.
Gegen dieses ihr am 17. März 1980 zugestellte Urteil hat die Beklagte schriftlich bei dem Hessischen Landessozialgericht am 31. März 1980 Berufung eingelegt.
Es ist im Berufungsverfahren der frühere Inhaber der Firma T.-Reisebüro und Copierdienst E. B., der mit seinem Unternehmen zum Unfallzeitpunkt im Unfallhaus residierte und jetzt dort eine Gastwirtschaft betreibt, als Z...