Entscheidungsstichwort (Thema)

Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung. psychiatrisches Sachverständigengutachten. Verwertbarkeit eines Gutachtens. Familienangehöriger als Dolmetscher. Anwesenheit eines Dritten bei der Exploration und Anamneseerhebung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Familienangehörige eines Versicherten sind als Dolmetscher während der Begutachtung grundsätzlich ungeeignet. Das gilt ausnahmsweise dann nicht, wenn es lediglich um den bloßen Austausch solcher Informationen geht, bei denen ihrer Natur nach eine Verfälschung von vornherein ausscheidet (hier verneint).

2. Ein psychiatrisches Sachverständigengutachten, bei dessen Exploration und Anamneseerhebung Dritte anwesend und beteiligt waren, ist nicht von vornherein unverwertbar. Von einer Unverwertbarkeit ist nur auszugehen, wenn Anhaltspunkte ersichtlich sind, dass durch die Anwesenheit des Dritten das Untersuchungsergebnis verfälscht worden ist (hier bejaht).

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 25. Mai 2020 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Weitergewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1962 geborene Kläger, italienischer Staatsangehöriger, hält sich seit dem 22. Mai 1997 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Seinen ursprünglichen Angaben zufolge hat er in seinem Herkunftsland keine Ausbildung absolviert. In Deutschland war der Kläger zuletzt langjährig als Pflasterer und Gartenarbeiter im Straßen- und Landschaftsbau tätig.

Am 14. Januar 2014 erlitt der Kläger eine Subarachnoidalblutung rechts mit nahezu vollständig blutgefüllter Cisterna ambiens mit Ventrikeleinbruch bei CT-angiografisch nachgewiesenem großem, längsovalem Arteria communicans anterior Aneurysma. Er befand sich vom 14. Januar 2014 bis 3. Februar 2014 in der Neurochirurgischen Abteilung der Dr. H. W., vom 3. Februar 2014 bis 22. April 2014 in stationärer Behandlung zur neurologischen Rehabilitation der Phase B sowie anschließend bis zum 15. Mai 2014 in der Phase C der M. W., in der er sodann aufgrund seines Antrags vom 13. Mai 2014 in der Zeit vom 27. Mai 2014 bis 11. Juli 2014 ganztägig ambulant rehabilitiert wurde. Laut Entlassungsbericht vom 15. Juli 2014 wurde der Kläger aus dieser Rehabilitationsmaßnahme ausgehend von den Diagnosen

Subarachnoidalblutung, von sonstigen intrakraniellen Arterien ausgehend

Hemiparese und Hemiplegie, nicht näher bezeichnet

Neurologischer Neglect

Leichte kognitive Störung

Thrombose, Phlebitis und Thrombophlebitis sonstiger tiefer Gefäße der unteren Extremitäten

mit einem Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von sechs Stunden und mehr für leichte körperliche Arbeiten mit Einschränkungen an die geistige/psychische Belastbarkeit sowie den Bewegungs- und Haltungsapparat betreffend entlassen. Als Pflasterer und Gartenarbeiter sei der Kläger nur noch unter drei Stunden arbeitstäglich erwerbsfähig. Unter den durchgeführten ambulanten Therapien sei mit einer weiteren Zustandsverbesserung zu rechnen, weshalb eine Nachbeurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit in drei bis vier Monaten empfohlen werde.

Nachdem anlässlich einer Kontrolluntersuchung sechs Monate nach der Intervention eine Coilkompaktierung festgestellt worden war, musste sich der Kläger am 19. November 2014 einer erneuten Intervention unterziehen, die komplikationslos verlief. Im Anschluss an eine körperliche Untersuchung am 10. Februar 2015 hielt der Arzt für Psychiatrie C. in seinem sozialmedizinischen Gutachten für den MDK in Hessen fest, dass der Kläger weiterhin arbeitsunfähig sei. Im Vordergrund der Störmuster stehe nunmehr die hirnorganische Wesensveränderung im Sinne einer organischen Persönlichkeitsstörung.

Am 27. April 2016 stellte der Kläger Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung, den er mit Funktionsstörungen wegen Hirnblutung und einem postthrombotischen Syndrom links begründete. Zur Stütze seines Rentenbegehrens legte er außerdem noch diverse medizinische/ärztliche Unterlagen vor.

Daraufhin wurde der Kläger auf Veranlassung der Beklagten über die Ärztliche Untersuchungsstelle der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Hessen von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie D. am 27. Juni 2016 ambulant untersucht, der in seinem Gutachten vom 30. Juli 2016 ausgehend von den Diagnosen

Subarachnoidalblutung 1/14

Hemisymptomatik links

Hirnorganisches Psychosyndrom im Sinne einer Hirnleistungsschwäche

zu der Einschätzung gelangte, dass sich der neurologische Befund in den vergangenen zwei Jahren eindrucksvoll gebessert habe. Dennoch sei der Kläger noch nicht wieder in der Lage, einer regelmäßigen Berufstätigkeit nachzugehen. Seine Leistungsfähigkeit sei so stark beeinträchtigt, dass drei- oder mehrstündige Tätigkeiten noch nicht erreichbar seien. Eine weitere Besserung erscheine möglich, weshalb der Gesundheitszustand nach einem Jahr überpr...

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