Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegfall des Arbeitslosengeld II. Nichterfüllung von Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung. Eigenbemühungen im Umfang von zehn Bewerbungen pro Monat ohne Regelung der Erstattung von Bewerbungskosten. öffentlich-rechtlicher Vertrag. keine Nichtigkeit wegen Unzulässigkeit der Gegenleistung. Unwirksamkeit der Einzelbestimmung. AGB. Inhaltskontrolle. unangemessene Benachteiligung. Unvereinbarkeit mit dem Grundgedanken des § 15 SGB 2. wichtiger Grund
Orientierungssatz
1. Die Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB 2 stellt einen öffentlich-rechtlichen Vertrag in Gestalt des sog hinkenden Austauschvertrages iS der §§ 53 ff SGB 10 dar (vgl LSG Darmstadt vom 17.10.2008 - L 7 AS 251/08 B ER ua).
2. Die Unangemessenheit von auferlegter Pflicht und (fehlender) Gegenleistung führt nicht zur Unzulässigkeit der Gegenleitung nach § 55 Abs 1 S 2 SGB 10 mit der Folge der Nichtigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrages nach § 58 Abs 2 Nr 4 SGB 10.
3. Bestimmungen in Eingliederungsvereinbarungen unterliegen der Inhaltskontrolle nach Maßstab von § 61 S 2 SGB 10 iVm § 307 BGB.
4. Es widerspricht dem Leitbild des § 15 SGB 2, Pflichten des Leistungsberechtigten zur Eingliederung in Arbeit ohne gleichzeitig korrespondierende Unterstützungsleistungen des Jobcenters zu regeln. Entsprechende Bestimmungen in Eingliederungsvereinbarungen sind damit nach § 307 Abs 1 S 1 iVm § 307 Abs 2 Nr 1 BGB unwirksam.
5. Die Rechtswidrigkeit einer wirksam auferlegten Pflicht aus der Eingliederungsvereinbarung stellt einen wichtigen Grund iS des § 31 Abs 1 S 2 SGB 2 dar.
Normenkette
SGB II § 31 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 1 S. 2, § 15 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1-2; SGB X §§ 53, 55 Abs. 1 S. 2, § 58 Abs. 1, 2 Nr. 4, § 61 S. 2; BGB § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 306 Abs. 1 analog
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. Januar 2014 wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger auch seine notwendigen außergerichtlichen Kosten der Berufung zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit des Absenkungsbescheides vom 22. November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Januar 2012 mit dem für den Zeitraum 1. Dezember 2011 bis 29. Februar 2012 ein vollständiger Wegfall des Arbeitslosengelds II festgestellt wurde.
Der 1977 geborene Kläger, unterzeichnete unter dem Datum vom 17. Juni 2011 die nachfolgend wiedergegebene Eingliederungsvereinbarung. Bereits zuvor stand er im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch 1 Grundsicherung für Arbeitsuchende 1 (SGB II) und hatte auch zuvor schon Eingliederungsvereinbarungen abgeschlossen.
“1. Ihr Träger für Grundsicherung Jobcenter Stadt Kassel unterstützt Sie mit folgenden Leistungen zur Eingliederung
Er unterbreitet Ihnen Vermittlungsvorschläge, soweit geeignete Stellenangebote vorliegen. Er nimmt Ihr Bewerberprofil in www.arbeitsagentur.de auf.
Er bietet Ihnen folgende Leistung/en zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung an, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind und zuvor eine gesonderte Antragstellung erfolgt: Mobilitätshilfen, weitere Leistungen, ESG.
Er fördert eine Arbeitsaufnahme durch die Gewährung eines Eingliederungszuschusses (§ 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. §§ 217ff. SGB III; § 421 f, o, p SGB III) an den Arbeitgeber, bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen und vorheriger Antragstellung durch den Arbeitgeber.
Kommt der zuständige Träger seinen in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten nicht nach, ist ihm innerhalb einer Frist von 4 Wochen das Recht der Nacherfüllung einzuräumen. Ist eine Nachbesserung tatsächlich nicht möglich, muss er folgende Ersatzmaßnahme anbieten:
Einleitung bundesweiter Vermittlungsbemühungen
2. Bemühungen von Herrn A. zur Eingliederung in Arbeit
Sie unternehmen von 17.06.11 bis 16.12.11 mindestens 10 Bewerbungsbemühungen pro Monat um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Die Eigenbemühungen bei der Arbeitsplatzsuche sind bis zum 16ten eines jeden Monats, durch Kopien der schriftlichen Bewerbungen und/oder durch Antwortschreiben der Arbeitgeber, unaufgefordert vorzulegen. Bei der Stellensuche sind auch befristete Stellenangebote und Stellenangebote von Zeitarbeitsfirmen einzubeziehen.
Sie bewerben sich zeitnah, d.h. spätestens am dritten Tage nach Erhalt des Stellenangebotes, auf Vermittlungsvorschläge, die Sie von der Agentur für Arbeit erhalten haben.„
Auf Seite 2 und 3 der Eingliederungsvereinbarungen finden sich Hinweise und Pflichten bei Ortsabwesenheit sowie eine ausführliche Rechtsfolgenbelehrung. Dort wurde u.a. unter konkreter Bezugnahme auf die vorherige Leistungsabsenkung darauf hingewiesen, dass ein weiterer wiederholter Pflichtenverstoß (Verstoß gegen die Eingliederungsvereinbarung) den vollständigen Wegfall der Leistungen nach dem SGB II zur Folge haben werde.
Hinsichtlich des übrigen Inhalt...