Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfolgungsbedingter Schaden in der Sozialversicherung, erzwungener Verlust des Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst. schädigende Fortwirkung nach der Einberufung zum militärischen Dienst. Vergleichsberechnung
Leitsatz (amtlich)
Der durch Verfolgungsmaßnahmen erzwungene Verlust des Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst bleibt wegen der Sonderregelung der VO vom 22.1.1940 bei Gehaltsfortzahlung auch nach der Einberufung zum militärischen Dienst für einen Schaden in der Sozialversicherung bestimmend.
§ 13 Abs. 1 WGSVG ist insoweit entsprechend anzuwenden und eine Vergleichsberechnung in Verbindung mit § 322 AVG durchzuführen.
Normenkette
AVG § 28 Abs. 1 Nrn. 1, 4, § 32a; WGSVG §§ 11, 13 Abs. 1; Verordnung vom 22.1.1940 (BGBl.I S. 225) § 1; FRG § 22
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Urteil vom 24.06.1974) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen des Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. Juni 1974 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte bei der Rentenberechnung die Zeit vom 1. Juli 1940 bis 30. Juni 1945 unter Zuordnung der Beitragsklassen und Arbeitsentgelte der Leistungsgruppe B 3 der Anlage zu § 22 des Fremdrentengesetzes im Wege der Vergleichsberechnung zu berücksichtigen hat.
Die den Kläger entstandenen aussergerichtlichen Kosten hat die Beklagte zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der am … 1907 geborene Kläger gehört zum Personenkreis des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes –BEG–. Er übte bei Beginn dar Verfolgungsmaßnahmen eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung als Verwaltungsangestellter bei der LVA H. aus. Im September 1933 wurde er aus politischen Gründen aus diesem Beschäftigungsverhältnis entfernt.
In der Folgezeit war er bis zu seiner Einberufung zum militärischen Dienst am 14. Juni 1940 bei mehreren Arbeitgebern in Privatbetrieben beschäftigt. Er bezog aus diesen Beschäftigungen entsprechend den Markenwerten im Versicherungskarten Nr. 6–9 ein geringeres Arbeitsentgelt, als er bei Zugrundelegung der vorher ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung nach der Aufstellung der LVA H. vom 8.11.1960 (Blatt 8–11 RA) ohne Verfolgungsmassnahmen erhalten hätte; das Arbeitsentgelt wäre von der LVA H. während des militärischen Dienstes des Klägers bis 30. Juni 1945 weitergezahlt worden (Auskunft der LVA H. vom 11.12.1974).
Wegen Schadens im beruflichen Fortkommen wurde nach dem BEG eine Entschädigung von 4.766,– DM gewährt; der Entschädigungszeitraum wurde vom 1.1.1934–28.10.1945 bemessen (Bescheid des Landesamtes für Wiedergutmachung, Stuttgart, vom 28.10.1963). Ab 29.10.1945 war der Kläger als Angestellter bei der Stadtverwaltung Göppingen tätig.
Mit Bescheid vom 20. März 1972 gewährte die Beklagte dem Kläger das Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ab 1.5.1972. Die für die Zeit vom 1. September 1933 bis 30. Juni 1940 vorhandenen Pflichtbeiträge wurden nach § 14 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistichen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22. Dezember 1970 (BGBl. I 1846) – WGSVG – unter Zuordnung der Beitragsklassen und Bruttoarbeitsentgelte der Leistungsgruppe B 4 bzw. – ab April 1937 – der Leistungsgruppe B 3 der Anlagen zu § 22 des Fremdrentengesetzes –FRG– angehoben. Für die Monate Februar 1935 und August, September 1935 wurden Ersatzzeiten wegen verfolgungsbedingter Arbeitslosigkeit gemäss § 28 Abs. 1 Nr. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes –AVG– angenommen. Die Zeit vom 1. Juli 1940 bis 30. Juni 1945 wurde als Ersatzzeit des militärischen Dienstes nach allgemeinen Vorschriften berücksichtigt.
Mit seiner Klage vertrat der Kläger die Ansicht, die Zeit vom 1. Juli 1940 bis 30. Juni 1945 sei als Beitragszeit unter Zuordnung der Beitragsklassen und Bruttoarbeitsentgelte der Leistungsgruppe B 3 der Anlage zu § 22 FRG anzurechnen. Als Beschäftigter der LVA H. hätte er entsprechend den damaligen Regelungen für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes sein Gehalt auch während der Zeit des militärischen Dienstes weiter erhalten. Es wären dann auch die entsprechenden Beiträge zur Angestelltenversicherung entrichtet worden. Ferner beanspruchte der Kläger Erstattung der von Dienstherrn (LVA H.) ohne die Verfolgungsmaßnahmen geleisteten Überversicherungsbeiträge und Anrechnung von Beiträgen mindestens der Klasse 4 für die gesamte Zeit der Verfolgung.
Die Beklagte war der Auffassung, beim militärischen Dienst des Klägers handele es sich nicht um einen Verfolgungstatbestand. Der Schaden des Klägers in der Sozialversicherung in dieser Zeit sei nicht mehr durch die Verfolgung, sondern aus anderen Gründen entstanden.
Das Sozialgericht Frankfurt/Main gab der Klage hinsichtlich der begehrten Anrechnung der Zeit vom 1.7.1940 bis 30.6.1945 als Beitragszeit unter Zuordnung der Beitragsklassen und Bruttoarbeitsentgelte der Leistungsgruppe B 3 der Anlagen zu § 22 FRG statt; im übrigen wurde die Klage abgewiesen. In der Begründung wurde ausgeführt, in der Zeit vom 1. Juli 1...