Entscheidungsstichwort (Thema)

Garagenunfall

 

Leitsatz (amtlich)

Der Weg nach dem Ort der versicherten Tätigkeit beginnt auch dann mit dem Durchschreiten der Außentür des Hauses, wenn der Versicherte eine vom Wohnhaus nicht direkt zugängliche Garage aufsuchen will, um mit dem Pkw zur Arbeitsstätte zu fahren. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob es sich um ein Ein- oder Mehrfamilienhaus handelt und wo die Garage sich befindet. (Auseinandersetzung mit der zum Teil gegensätzlichen Rechtsprechung des BSG)

 

Normenkette

RVO § 550

 

Verfahrensgang

SG Marburg (Urteil vom 21.05.1974; Aktenzeichen S-3/U-77/72)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg/L. vom 21. Mai 1974 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der am 30. März 1915 geborene Kläger beansprucht Entschädigung für die Folgen eines Unfalls, den er am 27. April 1971 erlitt, als er mit seinem Personenkraftwagen (Pkw) aus der Garage heraus zur Arbeitsstätte fahren wollte.

Der Kläger bewohnt das Erdgeschoß seines Zweifamilienhauses, das an einem Hang liegt und nur von der „O. B.” aus direkt betreten werden kann. Zu diesem Wohnhaus gehört eine sogenannte Tiefgarage, die sich im rückwärtigen Kellerbereich des Hauses befindet und von diesem aus nicht unmittelbar betreten werden kann. Vielmehr muß der Kläger zu diesem Zweck entweder im Haus die Kellertreppe hinuntergehen und durch die Waschküche über den Hof gehen oder sein Wohnhaus durch die Haustür verlassen und über die O. B. sowie einen 10 m langen, 1,60 m abfallenden Weg auf dem eigenen Grundstück um das Wohnhaus herum zurücklegen. Den letzteren Weg nimmt er meistens, da er dabei zugleich von der O. B. aus das Gartentor öffnen kann. So geschah es auch am Unfalltag, an dem er gegen 5.00 h seinen in der Garage abgestellten Pkw herausholen wollte. Die Garage ist mit einem nach oben führenden Schwenktor versehen. Bei der Fahrt aus der Garage fiel plötzlich dieses Schwenktor nach unten und schlug gegen die linke Hand, die der Kläger oben auf die leicht geöffnete Tür des Pkw gelegt hatte. Zu diesem Zeitpunkt war der Pkw rückwärts bereits so weit aus der Garage herausgefahren, daß sich die linke Hand im Moment des Aufpralls des Schwenktores in Höhe der Garagentürschwelle befand. Dem Durchgangsarztbericht des Prof. Dr. B. vom 27. April 1971 zufolge kam es hierdurch zu einer schweren Quetschung der linken Hand mit Bruch des Grundgliedes vom 3. bis zum 4. Finger und einer Abknickung. Den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätzte dieser Arzt in seinem Gutachten vom 3. Dezember 1971 für die Zeit vom 2. August 1971 bis zum 2. März 1972 auf 20 v.H. Eine Nachuntersuchung hielt er nach sechs Monaten für angezeigt.

Die Beklagte teilte dem Kläger mit formlosen Schreiben vom 16. März 1972 mit, daß es sich bei dem Geschehen um einen unversicherten Unfall gehandelt habe, da er sich im Unfallzeitpunkt noch im häuslichen Wirkungsbereich befunden habe. Mit am 24. März 1972 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben vom 22. März 1972 seiner Bevollmächtigten beantragte der Kläger die Gewährung eines „klagefähigen” Bescheides, den die Beklagte am 15. Juni 1972 mit gleicher Begründung erteilte.

Gegen diesen am 16. Juni 1972 mit Einschreiben abgesandten Bescheid hat der Kläger bei dem Sozialgericht in Marburg/L. – SG – am 10. Juli 1972 Klage erhoben und geltend gemacht: Er sei bei der Ausfahrt aus der Garage auf einem versicherten Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte gewesen, so daß die Beklagte ihm für die erlittenen Verletzungen Entschädigung zu gewähren habe. Zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens habe er sich nicht mehr im häuslichen Wirkungsbereich aufgehalten.

Das SG hat den Kläger persönlich angehört und mit Urteil vom 21. Mai 1974 die Beklagte verurteilt, ihm die gesetzliche Unfallentschädigung zu gewähren, da er sich im Unfallzeitpunkt nicht mehr im unversicherten häuslichen Bereich, sondern bereits auf dem versicherten Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte befunden habe.

Gegen das ihr am 31. Mai 1974 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21. Juni 1974 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgebracht. Im Gegensatz zur Auffassung des SG habe sich der Kläger noch im unversicherten häuslichen Bereich befunden. Garage und Wohnhaus bildeten eine bauliche Einheit. Hieran vermöge auch nichts zu ändern, daß die Garage auch über eine öffentliche Straße von außen her zu erreichen gewesen sei. Er habe vielmehr von der öffentlichen Straße aus nochmals das zu seinem persönlichen Lebensbereich gehörende Grundstück betreten. Im übrigen sei der Kläger noch innerhalb der Garage gewesen, als er sich die Hand gequetscht habe. Der zum Schwenktor gehörige Torbügel lege sich beim Schließen des Tores nach innen und nicht nach außen. Außerdem sei es unwahrscheinlich, daß – wie der Kläger meine – ein Windstoß das parallel zur Garagendecke liegende Garagentor herabschwenken könne. Schlie...

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