Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach Pflegestufe 2 unter Berücksichtigung des zeitlichen Aufwands für ärztliche und Physio-Behandlung

 

Orientierungssatz

1. Der Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung gemäß § 28 SGB 11 nach der Pflegestufe 2 entsprechend § 1 Abs. 5b MB/PVV setzt voraus, dass der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege - Körperpflege, Ernährung und Mobilität - täglich 120 Minuten erreicht.

2. Zum Teilbereich der Mobilität zählt ein Hilfebedarf des Versicherten für ein regelmäßiges und dauerhaftes Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung zu ärztlichen Behandlungen und ärztlich verordneten Therapien zur unmittelbaren Aufrechterhaltung der Lebensführung zuhause.

3. Hierzu ist ein mindestens einmal in der Woche stattfindender Arzttermin oder Therapiebesuch über einen Zeitraum von wenigstens sechs Monaten erforderlich.

4. Bei einem sehr unterschiedlichen Rhythmus von Arztbesuchen und Physiobehandlungen, wobei innerhalb von 12 Wochen keinerlei Arztbesuche oder ärztlich verordnete Behandlungen stattgefunden haben, ist eine Berücksichtigung der insoweit erforderlichen Wegezeiten ausgeschlossen.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 16. November 2011 abgeändert und die Klage auch insoweit abgewiesen, als die Klägerin Pflegegeld nach der Pflegestufe II für die Zeit vom 31. Mai bis zum 30. November 2011 begehrt.

Die Beteiligten haben einander für alle Instanzen keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im vorliegenden Berufungsverfahren ist zwischen den Beteiligten noch der Anspruch der Klägerin als Rechtsnachfolgerin der zwischenzeitlich verstorbenen C. auf weiteres Pflegegeld nach der Pflegestufe II für den Zeitraum vom 31. Mai 2011 bis zum 30. November 2011 streitig und insoweit, ob Arztbesuche und ärztlich verordnete Therapien in diesem Zeitraum bei der Einordnung in die Pflegestufe zu berücksichtigen sind.

Die 1947 geborene und 2016 verstorbene C. (im Weiteren: Versicherte) war bei der beklagten privaten Pflegeversicherung versichert und beantragte im August 2005 entsprechende Leistungen. Die Beklagte beauftragte die "Gesellschaft für medizinische Gutachten Medic Proof GmbH" (im Folgenden: Medic Proof) mit der Erstellung eines Gutachtens. Medic Proof ermittelte im Gutachten vom 8. Oktober 2005 einen Pflegebedarf der Versicherten im Bereich der Grundpflege von 23 Minuten und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 45 Minuten täglich. Auf dieser Grundlage lehnte die Beklagte Leistungen wegen Pflegebedürftigkeit ab.

Dagegen hat die Versicherte vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main (im Weiteren: SG) Klage (Az. S 9 P 44/06) erhoben mit dem Ziel der Leistungsgewährung ab August 2005.

Im laufenden Klageverfahren holte die Beklagte ein weiteres Gutachten ein, weil die Versicherte eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes geltend gemacht hat. Medic Proof stellte im Gutachten vom 11. Juli 2009 einen seit März 2009 bestehenden Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 70 Minuten und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 45 Minuten täglich fest.

Die Beklagte gewährte der Versicherten daraufhin ab 1. April 2009 Pflegegeld nach der Pflegestufe I (Schreiben vom 20. August 2009).

Das SG hat nach Beiziehung von Unterlagen und ärztlichen Stellungnahmen ein Gutachten von Amts wegen bei Dr. med. D. (Arzt für Allgemeinmedizin und physikalische und Rehabilitation für Medizin) vom 27. Juni 2011 eingeholt. Aufgrund der Untersuchung der Versicherten am 30. Mai 2011 kam der Sachverständige Dr. med. D. in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, der tägliche Hilfebedarf der Versicherten ab dem Tag der Begutachtung (30. Mai 2011) betrage im Bereich der Grundpflege 123 Minuten (davon 25 Minuten für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung für Arzt- und Therapietermine) und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung 60 Minuten. Zum Hilfebedarf der Versicherten im Bereich der Grundpflege (Mobilität, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung von 25 Minuten) führte Dr. med. D. in seinem Gutachten aus, die Versicherte habe anlässlich seiner Untersuchung angegeben, ihre Wohnung 2mal im Monat wegen Arztbesuchen und 8mal im Monat wegen Therapieterminen zu verlassen bzw. wiederaufzusuchen. Für die Zeit davor sei den Gutachten von Medic Proof zu folgen.

Das Sozialgericht hat die Klägerin als damalige Pflegeperson der Versicherten im Termin zur mündlichen Verhandlung als Zeugin vernommen und mit Urteil vom 16. November 2011 die Beklagte verurteilt, der Versicherten Pflegegeld für die Zeit vom 1. August 2005 bis zum 15. November 2008 entsprechend der Pflegestufe II und ab dem 16. November 2008 entsprechend der Pflegestufe III zahlen. Die Gutachten von Medic Proof seien offensichtlich fehlerhaft und es sei der Aussage der Zeugin zu folgen, die u.a. ausgeführt habe, die Versicherte gehe 2mal pro Woche zur Lymphdrainage und 2mal pro Woche zur ärztlich angeo...

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