Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsarztrecht. Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung. Beendigung der Zulassung wegen Erreichens der Altersgrenze. Verfassungsmäßigkeit der Zulassungsbeendigung wegen Alters. EU-Rechts-Konformität der Zulassungsbeendigung wegen Alters

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Regelung des § 95 Abs. 7 SGB V ist verfassungsgemäß (unter Verweis auf das BVerfG, Beschluss vom 20.03.2001, 1 BvR 491/96).

2. Die gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte haben nur im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts Geltung.

3. Die Regelung des § 95 Abs. 7 S. 3 SGB V kann grundsätzlich erst nach Ablauf der Umsetzungsfrist der RL 78/2000 in nationales Recht gegen diese Richtlinie verstoßen.

4. Die Regelung des § 95 Abs. 7 SGB V, die eine Diskriminierung wegen Alters beinhaltet, ist aber ohnehin auch inhaltlich nicht rechtswidrig, da sie dem Gesundheitsschutz dient, der ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut darstellt, und da zudem die Diskriminierung durch Art. 6 Abs. 1 S. 1 EGRL 78/2000 gerechtfertigt ist.

 

Normenkette

SGB V § 95 Abs. 7; GG Art. 12, 14; EGV Art. 12-13; EGRL 78/2000 Art. 2 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1a, Art. 4 S. 1, Art. 6 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 15.06.2005; Aktenzeichen S 5/29 KA 89/03)

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 29.11.2006; Aktenzeichen B 6 KA 34/06 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 15. Juni 2005 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Gerichtskosten zu tragen sowie die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 109.167,75 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Beendigung der Zulassung des Klägers zur vertragsärztlichen Versorgung zum 30. September 2002.

Der Kläger ist 1934 geboren. Er war seit dem 1. Januar 1974 in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung niedergelassen, zuletzt als hausärztlich tätiger Internist. Am 29. Dezember 2004 hat er seine Approbation als Arzt zurückgegeben.

Mit Beschluss vom 30. April 2002 stellte der Zulassungsausschuss der Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen fest, dass die Zulassung des Klägers zum 30. September 2002 gemäß § 95 Abs. 7 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) ende, da er zum Ende dieses Kalendervierteljahres sein 68. Lebensjahr vollende.

Dagegen legte der Kläger am 13. September 2002 Widerspruch ein. Er trug vor, sein Sohn habilitiere sich nach einem zweijährigen Aufenthalt in B. zurzeit an der Universitätsklinik L.. Die Habilitation werde im Frühjahr 2003 abgeschlossen sein. Zudem wolle er seine Facharztausbildung im Jahre 2003 beenden. Es sei ihm – dem Kläger – nicht gelungen, für diese zeitliche Lücke eine wie auch immer geartete Vertretung zu finden. Er betreue im Rahmen seiner internistischen hausärztlichen Tätigkeit im Quartal durchschnittlich 1000 Patienten sowie etwa 50 Drogenpatienten. Für Letztere gebe es im Umkreis von mindestens 50 km zurzeit keine Substitutionsplätze. Die Aufgabe der Praxis ohne einen Nachfolger würde für ihn erhebliche existenzielle Schwierigkeiten bedeuten.

Mit dem am 17. Dezember 2002 an den Kläger zugestellten Beschluss vom 23. Oktober 2002 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. In der Begründung führte er aus, dass die vom Kläger vorgetragenen Gründe nicht zu einer Verlängerung seiner Zulassung als Vertragsarzt führen könnten. Ausnahmen von der insoweit eindeutigen gesetzlichen Regelung des § 95 Abs. 7 SGB V lägen nicht vor. Diese Altersgrenze werde von der Rechtsprechung als mit Art. 12 Grundgesetz (GG) im Einklang stehend angesehen.

Dagegen hat der Kläger am 8. Januar 2003 bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main zunächst Anfechtungs- und Verpflichtungsklage mit dem Ziel einer weiteren Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung erhoben. Nach der Rückgabe seiner Approbation hat er diese Klage in eine Fortsetzungsfeststellungsklage, gerichtet auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Beklagten vom 23. Oktober 2002, geändert.

Ein von dem Kläger bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main eingeleitetes Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (Az.: S 29 KA 51/03 ER) ist ohne Erfolg geblieben (Beschluss vom 18. März 2003). Die dagegen eingelegte Beschwerde ist durch Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 15. Dezember 2004 (Az.: L 7 KA 412/03 ER) zurückgewiesen worden.

Zum Fortsetzungsfeststellungsinteresse hat der Kläger vorgetragen, aus der Richtlinie 2000/78/EG des Rates der Europäischen Union vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 2. Dezember 2000, L 303/16; im folgenden: EGRL 78/2000) ergebe sich die Möglichkeit von Schadensersatzansprüchen, sofern durch eine Entscheidung eines Trägers öffentlicher Gewalt sein Recht unter Beachtung seines Alters und seiner L...

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