Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankengeld. Verwaltungsakt. Vorbehalt. Rücknahme. Bindungswirkung. KV der Arbeitslosen Mitgliedschaft. Pflichtversicherung. freiwillig Versicherung. Vorrang der Pflichtversicherung-Höhe des Krankengeldes bei Bezug von Arbeitslosenhilfe
Leitsatz (amtlich)
1. Die Gewährung von Krankengeld aufgrund einer Entscheidung des Krankenversicherungsträgers stellt regelmäßig einen der Bindungswirkung des § 77 SGG fähigen Verwaltungsakt dar, der nur unter den Voraussetzungen des § 1744 RVO zurückgenommen werden kann
2. Zum Vorbehalt bei einer Krankengeldbewilligung.
3. Die freiwillige Versicherung als selbständiger Unternehmer bei einer gesetzlichen Krankenkasse (§ 225 RVO) endet unabhängig von dem Willen der Beteiligten und ggf. rückwirkend ab dem Tag des Bezüge von Arbeitslosenhilfe. Das allein durch den tatsächlichen Bezug dieser Leistung kraft Gesetzes begründete und nach § 311 Nr. 2 RVO fortgeführte Pflichtversicherungsverhältnis wird durch eine rückwirkend vorgenommene Gewerbeanmeldung nicht berührt.
4. Das Krankengeld des infolge, des Bezugs von Arbeitslosenhilfe in der Krankenversicherung der Arbeitslosen Pflichtversicherten bemißt sich nach dem Betrag der ihm zuletzt gezahlten Arbeitslosenhilfe. Eine rückwirkende Gewerbeanmeldung kann auch nicht zu einer anderen – höheren – Leistungsbemessung gem. § 158 AFG führen.
Normenkette
RVO § 182 Abs. 1 Nr. 2, § 306 Abs. 1, § 311 S. 1 Nr. 2, § 312 Abs. 1, § 1744; SGG § 77; AFG § 155 Abs. 1-2, § 158 Abs. 1-2, § 159
Verfahrensgang
SG Gießen (Urteil vom 06.08.1980; Aktenzeichen S 9/Kr - 14/80) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 6. August 1980 abgeändert und der Bescheid der Beklagten vom 8. Februar 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 1980 sowie die weiteren Bescheide vom 29. Juli 1980 und 6. August 1980 aufgehoben.
Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger 2/3 der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger für die Zeit vom 2. November 1975 bis 11. März 1980 Krankengeld in Höhe von 74,40 DM täglich oder lediglich in Höhe der für die vorangehende Zeit bewilligten Arbeitslosenhilfe zusteht und die Beklagte für die Zeit vom 2. November 1979 bis 12. Januar 1980 Krankengeld in Höhe von 3.386,10 DM zurückfordern kann.
Der 1936 geborene Kläger betrieb seit 20. April 1972 ein Tankschutz-Unternehmen und war seit 16. April 1972 bei der Beklagten als Selbständiger mit Anspruch auf Barleistungen bei einem Beitragssatz von zuletzt 410,13 DM monatlich krankenversichert. Am 27. September 1979 meldete er den Betrieb wegen „Arbeitsmangel und Führerscheinentzug” ab. Am 28. September 1979 meldete er sich beim Arbeitsamt Gießen arbeitslos und beantragte Arbeitslosenhilfe. In dem am 10. Dezember 1979 zurückgereichten Antragsvordruck gab er an, daß er während des Leistungsbezugs weiterhin der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) G. angehören wolle. Ferner erklärte er schriftlich, daß er sich von seiner hauptberuflich ausgeübten Tätigkeit als Selbständiger, einschl. der dazu gehörigen Betriebsmittel, gelöst, sie nicht nur vorübergehend aufgegeben habe und ernstlich bereit sei, künftig in der Hauptsache als Arbeitnehmer tätig zu sein.
Vom 1. November 1979 bis 11. März 1980 war der Kläger wegen Lumbalgien und eines Magenleidens arbeitsunfähig krank geschrieben und befand sich vom 11. Dezember bis 18. Dezember 1979 sowie 13. Februar bis 28. Februar 1980 in stationärer Behandlung. Der Beklagten teilte er unter dem 12. November 1979 mit, daß er sein Einkommen als selbständiger Handwerker bzw. Betriebsunternehmer infolge der Erkrankung und des dadurch bedingten Ausfalls der Arbeitskraft überwiegend bzw. ganz einbüße. Die Beklagte wies ihm daraufhin am 14., 22. und 27. November 1979 für die Zeit vom 2. November 1979 bis 12. Januar 1980 (= 71 Tage) Krankengeld berechnet nach dem Grundlohn von 93,– DM in Höhe von kalendertäglich 74,40 DM an.
Mit Bescheid vom 15. Januar 1980 bewilligte das Arbeitsamt Gießen dem Kläger nach Ermittlung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse nachträglich Arbeitslosenhilfe ab 28. September 1979 in Höhe von 79,92 DM wöchentlich/13,32 DM täglich unter Anrechnung von Mieteinnahmen mit einem Betrag von 70,65 DM wöchentlich. Ab 1. November 1979 hob es die Entscheidung über die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe mit Bescheid vom gleichen Tage – 15. Januar 1980 – auf, weil der Kläger Anspruch auf Krankengeld habe. Die Beklagte erhielt hiervon am 18. Januar 1980 Kenntnis. Mit Bescheid vom 8. Februar 1980 teilte sie dem Kläger mit, daß er lediglich Anspruch auf Krankengeld in Höhe der ihm zustehenden Arbeitslosenhilfe von werktäglich 13,32 DM habe, weil er als Arbeitsloser arbeitsunfähig krank geworden sei. Bis zum 12. Januar 1980 sei eine Überzahlung in Höhe von insgesamt 4.443,24 DM eingetreten (5.282,40 DM (71 Tage × 74,40 DM) – 839,16 DM (63 Tage × 13,32 D...