Entscheidungsstichwort (Thema)
Anerkennung einer Blasenkrebserkrankung in Folge einer Strahlenexposition während des Wehrdienstes als sog. Wehrdienstkrankheit
Orientierungssatz
1. Zur Anerkennung einer Erkrankung durch ionisierende Strahlen i. S. der BKV Nr. 2402 als sog. Wehrdienstkrankheit nach § 81 Abs. 1 SVG ist erforderlich, dass die Krankheit nach dem Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit i. S. der Theorie der wesentlichen Bedingung ihre Ursache in einer dem Wehrdienst zuzuordnenden schädigenden Einwirkung hat. Die schädigende Einwirkung setzt den Nachweis einer entsprechenden Strahlendosis durch Ganz- oder Teilkörperbestrahlung, Kontamination und/oder Inkorporation voraus.
2. Die von Seiten der Bundeswehr in der Phase 1 unterlassenen Beobachtungen und Dokumentationen der Strahlenbelastung stellen keine Rechtfertigung für eine Umkehr der Beweislast dar. Unzulänglichkeiten im Umgang mit Strahlenquellen sind hierzu nicht ausreichend. Eine Beweislastumkehr kommt erst bei einer nachgewiesenen planmäßig herbeigeführten Unklarheit in Betracht.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. November 2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander in beiden Instanzen keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der 1955 geborene Kläger leistete im Zeitraum 1. Januar 1975 bis 31. März 1976 Grundwehrdienst; bis 31. März 1975 leistete er seine Grundausbildung beim x1. Luftwaffenausbildungsregiment x2 in C-Stadt ab und war ab 1. April 1975 beim x3. Flugabwehrbataillon x4 in D-Stadt als Flugabwehrraketenkanonier eingesetzt. Er nahm an einer Ausbildung am Arbeitsplatz (AAP) teil und bestand am 23. Juni 1975 eine AAP-Prüfung für eine Qualifikation mit der so genannten ATN-Nr. 581 1783 N. Er arbeitete als Operator (Bediener) am Target Tracking Radar des Waffensystems NIKE.
Der Kläger erkrankte 1999 an Blasenkrebs, infolge dessen ihm Harnblase und Prostata entfernt wurden. Am 2. April 2002 beantragte der Kläger beim Beklagten deshalb die Gewährung von Beschädigtenversorgung und gab im Rahmen eines Fragebogens an, er habe als Target Tracking Radar Operator am Gerät NIKE gearbeitet. Auf die Frage, welche Arbeiten er als Operator durchgeführt habe, an welchen Sichtgeräten er gearbeitet habe, ob mit oder ohne Abdeckung und in welchem zeitlichen Umfang, antwortete der Kläger zu den ausgeführten Arbeiten, die im Fragebogen beispielhaft mit Einschalt- bzw. Einrichtvorgängen, Entfernungsabgleich, Zielortung, Gefechtsüberwachung angegeben waren, pauschal, genau diese Punkte seien zutreffend.
Die Beigeladene führte eine Berechnung und Bewertung der Exposition mit Röntgenstrahlung durch und zog vom Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen, Andernach, die medizinischen Unterlagen des Klägers aus seiner Dienstzeit bei.
Mit Bescheid vom 10. Juli 2002 lehnte der Beklagte die Anerkennung von Schädigungsfolgen ab und führte aus, die Überprüfung des Antrags des Klägers habe im Zusammenwirken mit der Sondergruppe Strahlen bei der Wehrbereichsverwaltung Süd ergeben, dass der Kläger während seines Wehrdienstes nicht an den Radargeräten als Mechaniker gearbeitet habe, sondern als Flugabwehrraketenkanonier (Bediener/Operator) am Waffensystem NIKE eingesetzt und bei dieser Tätigkeit keinen Strahlenexpositionen ausgesetzt gewesen sei. Allgemein sei bei Strahlung im Zusammenhang mit dem Betrieb von Radargeräten zwischen Hochfrequenzstrahlung (HF-Strahlung, elektromagnetische Felder) und ionisierender Strahlung (Röntgenstrahlung) zu unterscheiden. Die HF-Strahlung sei nach heutigem Stand der Wissenschaft keine Ursache von Spätschäden, insbesondere Krebs. Eine Exposition durch Röntgenstrahlung sei nur für ausgebildete Radarmechaniker möglich, da die Reichweite dieser Strahlung im Bereich von Zentimetern bis wenigen Dezimetern liege, wobei zur Exposition regelmäßig das Öffnen von Gehäuseteilen erforderlich sei. Diese Tätigkeiten hätten nur durch das hierfür vorgesehene Personal erfolgen können und dürfen. Personal, das sich zwar in der Nähe der Radargeräte aufgehalten habe, ausbildungsmäßig aber nicht als Radarmechaniker zu bezeichnen sei, habe durch Röntgenstrahlung nicht exponiert werden können. Die gelegentliche Mithilfe bei Wartung und Instandsetzung durch Bedienerpersonal entspreche nicht der qualifizierten Arbeit, die zu einer Röntgenexposition hätte führen können. Ionisierende Röntgenstrahlung entstehe in sogenannten Endstufenröhren bei der Erzeugung der elektromagnetischen Felder. Am Waffensystem NIKE seien keine nicht berührungssicher abgedeckten radioaktiven Leuchtfarben an den Radargeräten oder auf den Beschriftungen der Konsolen und Bedienelemente im BCT und RTC gefunden worden. Eine Inkorporationsgefahr habe daher beim bestimmungsgemäßen Betrieb nicht b...