Leitsatz (amtlich)

Hat ein Unfallversicherungsträger erst nach Ablauf von 2 Jahren nach dem Unfall erstmalig eine Verletztenrente mit Rückwirkung festgestellt, so ist er nicht nach § 622 Abs. 2 Satz 2 RVO verpflichtet, die Rente bis zum Ablauf des 3. Jahres nach dem Unfall zu gewähren. Ein Verstoß gegen § 1585 Abs. 2 Satz 1 RVO liegt nicht vor.

 

Normenkette

RVO § 1585 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 05.11.1971)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M. vom 5. November 1971 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der im Jahre 1913 geborene Kläger hatte am 24. Oktober 1967 einen Unfall, bei dem er sich ausweislich des Durchgangsarztberichtes der Chirurgischen Universitätsklinik F. eine bimalleoläre Knöchelfraktur rechts mit ausgedehnter Quetsch-Risswunde am rechten Unterschenkel zuzog. Er befand sich bis zum 25. Dezember 1967 in stationärer Behandlung. Nachdem die Beklagte den Kläger mehrmals hatte untersuchen und begutachten lassen, gewährte sie ihm mit Bescheid vom 26. Juni 1970 gemäß §§ 580, 581 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für die Folgen des Unfalles ab 9. Dezember 1968, dem Tag nach dem Wegfall der Arbeitsunfähigkeit i.S. der Krankenversicherung, bis zum 31. Dezember 1969 eine Teilrente von 20 v.H. der Vollrente.

Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben, die am 17. Juli 1970 bei der Beklagten und am 9. November 1970 bei dem Sozialgericht Frankfurt a.M. eingegangen ist. Er vertrat die Auffassung, daß ihm die festgestellte Rente noch bis Ende Oktober 1970 zustehe, weil diese zur Dauerrente geworden sei und somit frühestens nach Ablauf eines Jahres hätte entzogen werden können.

Mit Urteil vom 5. November 1971 hat das Sozialgericht für Recht erkannt:

Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 26. Juni 1970 verurteilt, dem Kläger die Verletztenrente von 20 v.H. der Vollrente bis zum Ablauf des Monats Oktober 1970 zu zahlen und ihm die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu ersetzen.

Es hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte könne eine Dauerrente zwar bei deren Erstfeststellung auf einen Zeitraum von weniger als ein Jahr begrenzen; dies sei aber nur zulässig, wenn es vor dem Ablauf der Zeit geschehe, mit welchem die Dauerrente festgestellt werden müsse. Nach § 1585 Abs. 2 RVO sei die Dauerrente ausnahmslos spätestens mit dem Ablauf von zwei Jahren nach dem Unfall festzustellen. Die gesetzliche Regelung erfordere, daß die Träger der Unfallversicherung mit dem Ablauf des zweiten Jahres nach dem Arbeitsunfall die Verletztenrente als Dauerrente feststellten oder sie zu einer solchen werden liessen und dabei von dem zu diesem Zeitpunkt bestehenden Ergebnis der Ermittlungen ausgingen. Die Beklagte, die dem Kläger einen Bescheid über eine Teilrente hätte erteilen können, sei hierzu verpflichtet gewesen. Sie sei lediglich berechtigt, die Rente als vorläufige festzustellen, und zwar nach § 1585 Abs. 1 RVO während der ersten beiden Jahren seit dem Unfall. Diese wäre nach dem Ablauf von 2 Jahren seit dem Unfall zur Dauerrente geworden. Im Oktober 1969, als die Zweijahresfrist seit dem Unfall abgelaufen gewesen sei, habe die Beklagte kein Gutachten gehabt, das ihr eine abweichende Rentenfeststellung ermöglicht hätte. Sie habe auch keinen Anhalt dafür gehabt, daß die Verletzungsfolgen des Klägers nur noch gering sein könnten. Die Verletztenrente des Klägers, die zur Dauerrente hätte werden müssen, hätte daher frühestens zum Ablauf des Monats Oktober 1970 entzogen werden dürfen. Die Berufung gegen das Urteil wurde zugelassen.

Gegen das ihr am 19. November 1971 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13. Dezember 1971 Berufung eingelegt. Sie macht geltend: Nur wenn während der ersten beiden Jahren seit dem Unfall die vorläufige Rente festgestellt worden sei, wäre sie nach dem Ablauf von zwei Jahren seit dem Unfall zur Dauerrente geworden. Im vorliegenden Fall sei jedoch die erste bescheidmäßige Feststellung der Rente später als zwei Jahre nach dem Unfall vom 24. Oktober 1967, nämlich erst am 26. Juni 1970 erfolgt. § 622 Abs. 2 S. 1 RVO betreffe nur die Fälle, in denen mit Ablauf von zwei Jahren nach dem Unfall die vorläufige Rente „noch” gezahlt werden. Eine über den Zweijahreszeitraum hinaus gewährte Rente wandele sich, wie das Hess. Landessozialgerichts ausgesprochen habe, nicht in eine Dauerrente um, wenn gleichzeitig das Ende der Rente in der Vergangenheit festgestellt worden sei. Im gleichen Sinne habe auch das BSG entschieden (Urt. v. 29.9.1970 – 5 RKn U 17/67). § 1585 Abs. 2 S. 1 RVO begründe für den Versicherungsträger nicht die Pflicht, ohne Rücksicht auf die etwaigen Besonderheiten des Einzelfalles binnen 2 Jahren nach dem Unfall die Dauerrente festzustellen. Es sei ihm, dem Versicherungsträger, jedoch nicht verwehrt, die Dauerrente schon früher als mit Ablauf von zwei Jahren festzust...

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