Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit - grobe Fahrlässigkeit

 

Orientierungssatz

1. Kann sich der Adressat eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes nicht auf Vertrauen berufen, so ist dieser nach § 45 Abs. 2 S. 3 SGB 10 zwingend auch mit Wirkung für die Vergangenheit nach §§ 45 Abs. 2 S. 3 SGB 10, 330 Abs. 2 SGB 3 zurückzunehmen.

2. Grobe Fahrlässigkeit i. S. von § 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB 10 liegt regelmäßig vor, wenn sich der Leistungsbetrag nahezu verdoppelt hat, ohne dass der Leistungsempfänger eine Plausibilitätsprüfung vornimmt.

3. In einem solchen Fall hat der Empfänger infolge grober Fahrlässigkeit die Unrichtigkeit und Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides nicht zur Kenntnis genommen, obwohl diese bei Erhalt des Bescheides offensichtlich und ohne Nachforschungen zutage trat.

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 8. November 2004 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Dies gilt auch für das Revisionsverfahren.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides der Beklagten, mit dem die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe teilweise aufgehoben und ein überzahlter Betrag von 4.076,28 Euro zurückgefordert wurde.

Die im Mai 1959 geborene Klägerin stand ausweislich der beigezogenen Behördenakten erstmals im Jahre 1988 im Leistungsbezug. In den nachfolgenden Jahren erhielt sie immer wieder - mit einigen Unterbrechungen - Leistungen von der Beklagten. Im Oktober 1999 gab es bereits einmal einen Rückforderungsbescheid der Beklagten, mit dem sie überzahltes Arbeitslosengeld in Höhe von 10.072,80 DM für den Zeitraum vom 29. Mai 1999 bis zum 21. Juni 1999 zurückgefordert hatte, da die Klägerin nicht mitgeteilt hatte, dass ein Arbeitsgerichtsverfahren zu ihren Gunsten beendet worden war und deshalb in der fraglichen Zeit keine Arbeitslosigkeit bestanden hatte. Eine damals in diesem Zusammenhang erhobene Klage hatte die Klägerin zurückgenommen. Sie bezog im Anschluss weiterhin mit Unterbrechung Leistungen. Ab dem 1. März 2001 bis zu der Erschöpfung ihres Anspruchs am 4. Dezember 2001 bezog sie Arbeitslosengeld in Höhe von 324,24 DM wöchentlich. Der Betrag errechnete sich aus einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von 650,00 DM und einem gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt in Höhe von 650,00 DM. Das Arbeitslosengeld wurde der Klägerin zuletzt am 5. Dezember 2001 überwiesen. Die Daten wurden für die Überleitung gespeichert und es wurde festgehalten, dass der Klägerin ab dem 5. Dezember 2001 Arbeitslosenhilfe zustehe. Bereits unter dem 21. November 2001 hatte die Klägerin einen entsprechenden Antrag gestellt.

Die Nachzahlung für den Zeitraum vom 5. Dezember 2001 bis zum 31. Dezember 2001 wurde durch Bescheid vom 9. Januar 2002 bewilligt, der wöchentliche Leistungsbetrag lautete 275,87 DM, wobei bereits der Euro-Betrag in Klammern aufgeführt war (141,05 Euro). In dem Bescheid war ein Bemessungsentgelt von 650,00 DM bei Leistungsgruppe B zugrunde gelegt. Die Auszahlung erfolgte am 11. Januar 2002. Es existieren für dieses Datum zwei Zahlungsnachweise, bei denen jeweils nur die Personendaten, nicht aber die Leistungsdaten ausgefüllt sind. Auf dem einen Zahlungsnachweis erscheint noch die Summe in DM (1.064,07 DM), auf dem zweiten Nachweis diese Summe in Euro (544,05 Euro), die dann letztlich auch zur Auszahlung kam.

Durch einen weiteren Bescheid vom 11. Januar 2002 bewilligte die Beklagte der Klägerin weiterhin Arbeitslosenhilfe ab dem 1. Januar 2002. Als Bemessungsentgelt gerundet wurde weiterhin „650“ vermerkt, so dass die Klägerin aufgrund des Bewilligungsbescheids sodann fortlaufend bis Ende November 2002 Arbeitslosenhilfe in Höhe von 224,70 Euro wöchentlich erhielt. Die übrigen Leistungsmerkmale (Leistungsgruppe B, Kindermerkmal 1) blieben unverändert. Die erste Auszahlung für den Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Januar 2002 in Höhe von 995,10 Euro erfolgte am 28. Januar 2002.

Nachdem die Klägerin im November 2002 die Fortzahlung von Arbeitslosenhilfe beantragte, bemerkte die Beklagte, dass bei der Währungsumstellung von DM auf Euro ein Fehler unterlaufen war dergestalt, dass der frühere DM-Betrag für das Bemessungsentgelt (650,00 DM) nicht in Euro umgerechnet worden war, sondern dass derselbe Betrag in Euro (650,00 Euro) zugrunde gelegt worden war. Dies hatte dazu geführt, dass vom 1. Januar 2002 bis zum 4. Dezember 2002 eine wöchentliche Arbeitslosenhilfe in Höhe von 224,70 Euro anstelle von 140,28 Euro an die Klägerin ausgezahlt wurde. Nach vorheriger Anhörung hob die Beklagte durch Bescheid vom 12. Februar 2003 die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für den genannten Zeitraum teilweise auf und forderte den überzahlten Differenzbetrag in Höhe 84,42 Euro wöchentlich (insgesamt 4.076,28 Euro) zurück. Hiergegen legte die Klägerin am 21. Februar 2003 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid...

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