Entscheidungsstichwort (Thema)
Glaubhaftmachung des Verlustes einer Versicherungskarte
Leitsatz (redaktionell)
Eine Glaubhaftmachung von Beitragszeiten nach VuVO § 1 Abs 1 S 1 ist nur in Fällen möglich, in denen das Kartenarchiv, in dem eine Aufbewahrung von Versicherungsunterlagen in Betracht käme, unbeschädigt erhalten geblieben ist.
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Urteil vom 27.05.1971) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 27. Mai 1971 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die 1909 geborene Klägerin ist Verfolgte im Sinne von § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Sie emigrierte im Jahre 1933 nach F., kehrte im Juli 1937 von F., ihrem letzten inländischen Wohnsitz, nach P. aus. Inzwischen hat sie die i. Staatsangehörigkeit erworben.
Nach vorliegenden Zeugnissen besuchte die Klägerin von Herbst 1926 bis Frühjahr 1928 das Städtische Kindergarten-Seminar in F. und legte dort am 28. Februar 1928 eine Abschlußprüfung ab, die sie befähigte, als Kindergärtnerin in Familien und in kleinen Kindergärten tätig zu sein. Danach war sie vom 1. April 1928 bis 1. April 1929 als Praktikantin beim Städtischen Kindergarten in F., vom 15. November 1929 bis 28. Februar 1930 als Volontärin bei der Firma T. W. in F. und vom 1. März 1930 bis 15. März 1930 aushilfsweise im Heim des Jüdischen Frauenbundes in N.-I. als Kindergärtnerin tätig. Vom 15. März 1930 bis 1933 betrieb sie in F. einen eigenen Kindergarten. Sie gab an, daß sie in dieser selbständigen Tätigkeit ab 1932 nicht mehr voll ausgelastet gewesen sei, so daß sie in den Nachmittags- und Abendstunden die Betreuung von Kindern jüdischer Familien übernommen habe, u.a. bei Frau A. S. in der Zeit vom 1. April 1932 bis 21. August 1933.
Im Januar 1969 beantragte die Klägerin bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) R. die Gewährung von “Altersruhegeld” unter Anrechnung von Ersatzzeiten nach § 1251 Abs. 1 Nr. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Diesen Antrag lehnte die hierfür zuständige Beklagte mit Bescheid vom 13. Juli 1970 ab. Zur Begründung ist ausgeführt, daß die für die Rentengewährung erforderliche Wartezeit - 180 Kalendermonate - nicht erfüllt sei. In ihrem erhalten gebliebenen Kartenarchiv hätten Versicherungsunterlagen der Klägerin nicht aufgefunden werden können, so daß eine Beitragsleistung während der angegebenen Beschäftigungszeiten nicht erfolgt sein könne. Aus diesem Grunde könnten auch die verfolgungsbedingten Ersatzzeiten nicht auf die Wartezeit angerechnet werden.
Mit ihrer Klage trug die Klägerin vor, daß unter Berücksichtigung der Verfolgungszeiten die Wartezeit erfüllt und ein Rentenanspruch gegeben sei. Zwar sei ihr der Nachweise der Abführung von Beiträgen bisher nicht gelungen. Jedoch müsse eine Beitragsentrichtung während der durch die vorgelegten Zeugnisse belegten Beschäftigungsverhältnisse im Zeitraum von April 1928 bis August 1933 als glaubhaft gemacht angesehen werden.
Die Beklagte wies darauf hin, daß auch bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin ein Beitragskonto für die Klägerin nicht zu ermitteln gewesen sei. Das Fehlen solcher Unterlagen für die Klägerin spreche dagegen, daß in den angegebenen Beschäftigungszeiten ein Versicherungsverhältnis bestanden habe und Pflichtbeiträge entrichtet worden seien. Eine Glaubhaftmachung der Beschäftigungszeiten nach der Versicherungsunterlagen-Verordnung vom 3.3.1960 (VuVO) scheide somit aus.
Mit Urteil vom 27. Mai 1971 wies das Sozialgericht Frankfurt die Klage ab. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, daß die Voraussetzungen für die Gewährung des begehrten Altersruhegeldes nach § 1248 Abs. 3 RVO nicht erfüllt seien. Die Klägerin sei weder in den letzten 20 Jahren in der Bundesrepublik versicherungspflichtig beschäftigt gewesen noch habe sie die Wartezeit von 180 Kalendermonaten erfüllt. Eine Beitragsleistung zur gesetzlichen Rentenversicherung habe weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht werden können, so daß auch die Möglichkeit entfalle, den verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalt der Klägerin als Ersatzzeit zu berücksichtigen.
Mit der am 21. Juli 1971 eingelegten Berufung wendet sich die Klägerin gegen das am 23. Juni 1971 zum Zwecke der Zustellung an ihren Prozeßbevollmächtigten zur Post aufgelieferte Urteil. Sie trägt nunmehr vor, ihr Rentenantrag vom Januar 1969 sei nicht auf die Gewährung vorgezogenen Altersruhegeldes beschränkt gewesen, sondern habe auch einen Anspruch auf Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsrente umfaßt. Zumindest für diese Renten sei die Wartezeit erfüllt. Denn sie sei vor der verfolgungsbedingten Ersatzzeit versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Zumindest bei ihrer Tätigkeit als Kindergärtnerin im Städtischen Kindergarten in F. und bei ihrer Tätigkeit im T. W. in F. habe es sich um reguläre Arbeitsverhältnisse mit ganztägiger Beschäftigung bei normaler Entlohnung gehandelt, so daß nicht anzunehmen sei, daß ihre Ar...