Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufshilfe. berufliche Rehabilitation. berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation. Aufstiegsmaßnahmen. Ermessen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Verpflichtung des Unfallversicherungsträgers, einem durch Arbeitsunfall Verletzten Berufshilfe (berufliche Leistungen der Rehabilitation) zu gewähren, kommt grundsätzlich in allen Phasen des Berufslebens des Verletzten in Betracht, sofern sich die Arbeitsunfallfolgen in weitestem Sinne rechtlich wesentlich auf seine Erwerbsfähigkeit nachteilig auswirken. Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist weder auf Personen begrenzt, die den zur Zeit des Unfalls ausgeübten Beruf auf Dauer nicht mehr ausüben können noch lassen eigene Berufsentscheidungen des Verletzten seit dem Arbeitsunfall bis zur Antragstellung den Ursachenzusammenhang zwischen einer beruflichen Beeinträchtigung und dem Unfallfolgezustand entfallen.
2. Die Förderung von Aufstiegsmaßnahmen steht jedenfalls dann nicht im Ermessen des Unfallversicherungsträgers, wenn die regelmäßig voll auszuschöpfende körperliche und geistige Leistungsfähigkeit des Verletzten zweifelsfrei feststeht, die höhere Ausbildung eine optimale und dauerhafte Kompensation der Unfallfolgen erwarten läßt und eine Wiederverwendung des Verletzten in einer der bisherigen Tätigkeiten nicht gleichfalls zu der gemäß § 556 Abs. 1 Nr. 2 RVO anzustrebenden dauerhaften – vollwertigen – beruflichen Eingliederung führen würde.
Normenkette
RVO § 537 Nr. 2a, § 556 Abs. 1, § 567 Abs. 1 Nr. 3 (Fassung: 1974-08-07); RehaAnglG §§ 1, 6-7, 11
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Urteil vom 22.08.1979; Aktenzeichen S-4/U-40/78) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 22. August 1979 sowie der Bescheid der Beklagten vom 13. September 1977 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die durchgeführte Maßnahme zum staatlich geprüften Betriebswirt/DV in der Zeit vom 29. September 1977 bis 26. September 1979 im Rahmen der Berufshilfe Leistungen unter Anrechnung der von der Beigeladenen zu 1.) erbrachten Leistungen zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten; im übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger für seine zweijährige Weiterbildung zum staatlich geprüften Betriebswirt – Datenverarbeitung (DV) – im Rahmen der Berufshilfe Leistungen zu gewähren hat.
Der 1948 geborene Kläger erlitt am 11. Mai 1965 einen Arbeitsunfall, als dessen Folge eine Amputation des linken Unterschenkels im körperfernen Drittel erforderlich wurde. Die Beklagte bewilligte ihm deswegen und wegen weiterer unfallbedingter Einschränkungen im Kniegelenk und Oberschenkelbereich Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von zunächst 60 v.H. und später nach einer MdE von 50 v.H..
Zur Zeit des Unfalls befand der Kläger sich in einer Lehre zum Industriekaufmann, die er am 15. Mai 1964 nach Abschluß der Handelsschule mit der mittleren Reife begonnen hatte. Er setzte die kaufmännische Lehre nach Wegfall der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit unter Wechsel des Ausbildungsplatzes bei der Firma H. S. fort. Dort wurde er nach Auskunft der Firma vom 20. Dezember 1974 wegen seiner Behinderung ab Beginn des dritten Lehrjahrs in der Datenerfassung eingesetzt. Am 30. September 1967 legte er die Kaufmannsgehilfenprüfung als Großhandelskaufmann ab. Bis zum 31. Dezember 1969 war er als Maschinenbuchhalter (Datenerfassung) beschäftigt. Während dieser Zeit nahm er an einem EDV-Lehrgang teil, weil er der Auffassung war, daß der Beruf des Buchhalters in einem Großhandelsunternehmen mit der Zeit durch die Datenverarbeitung verdrängt werde. Die unter Hinweis darauf bei der Beklagten beantragte Kostenerstattung lehnte diese ab.
Am 1. Januar 1970 nahm der Kläger bei der A. S. eine Beschäftigung als Operator (Datentechniker) auf. Er arbeitete zunächst an einem mittelgroßen Computer. Ab 1. April 1974 wurde ihm die Leitung des gesamten EDV-Maschinensaals übertragen mit der Verpflichtung, im Bedarfsfalle im reinen Operating mitzuarbeiten. Wegen des verhältnismäßig langen Programmdurchlaufs konnte die Tätigkeit überwiegend im Sitzen durchgeführt werden.
Im Mai 1976 wurde die EDV-Anlage umgestellt bzw. vergrößert. Danach war für die Tätigkeit des Klägers ständiges Stehen und Gehen erforderlich. Hierdurch fühlte sich der Kläger, bei dem am 11. März 1976 wegen ständiger offener Stellen im Stumpfbereich und Geschwürsbildung eine Nachamputation vorgenommen werden mußte, überfordert. Er beantragte bei der Beklagten sowie bei der zu 2) beigeladenen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation und äußerte den Wunsch einer Weiterbildung zum Betriebswirt/DV. Die BfA erklärte sich zunächst für zuständig; durch Bescheid vom 10. Februar 1977, Widerspruchsbescheid vom 2. April 1977, lehnte sie den Antrag des Klägers dann jed...