Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenerstattung. selbst beschaffte Magenverkleinerungsoperation. Adipositas. Gewichtsverringerung. Konservative Behandlungsmöglichkeiten. Kontraindikation. Psychische Erkrankung. Wirtschaftlichkeitsgebot. Stationäre Krankenhausbehandlung. Zugelassener Leistungserbringer. Wahlärztliche Behandlung
Orientierungssatz
1. Die Leistungen der Krankenversicherung stehen unter dem Vorbehalt des Wirtschaftlichkeitsgebots. Die Durchführung einer Magenbypass-Operation zur Behandlung einer massiven Adipositas zu Lasten der Krankenversicherung ist deshalb an folgende Voraussetzungen gebunden: Der Adipositas muss Krankheitswert zukommen, die konservativen Behandlungsmöglichkeiten müssen erschöpft sein, gegen die Durchführung der Operation dürfen keine wesentlichen Kontraindikationen bestehen und an dem gebotenen Ernährungsverhalten nach Magenverkleinerung dürfen keine ernsthaften Zweifel bestehen (vgl BSG vom 16.12.2008 - B 1 KR 2/08 R = SozR 4-2500 § 13 Nr 20 und BSG vom 17.10.2006 - B 1 KR 104/06 B) .
2. In Sonderfällen, in denen der Bodymaßindex den Wert von 40 deutlich überschreitet, ist dem Versicherten eine Magenverkleinerungsoperation auch dann zu bewilligen, wenn die eigeninitiativen Bemühungen des Versicherten zur Gewichtsreduktion nicht den strengen Vorgaben zu einem sechs- bis zwölfmonatigen multimodalen und ärztlich geleiteten bzw überwachten Therapiekonzept entsprechen.
3. Sind langjährige Bemühungen zur Gewichtsreduktion erfolglos geblieben, erscheint es angesichts eines überaus hohen Körpergewichts nahezu aussichtslos, weiterhin allein auf konservative Maßnahmen zu vertrauen, waren psychotherapeutische Behandlungen zur Verringerung des Körpergewichts erfolglos und bestehen keine Zweifel an der Behandlungsmotivation des Versicherten, so ist die Leistungspflicht der Krankenkasse zur Durchführung einer Magenbypass-Operation gegeben.
4. Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 SGB 5 setzt voraus, dass die Ablehnung des Antrags des Versicherten, ihm eine Magenbypass-Operation zu gewähren, die wesentliche Ursache der Selbstbeschaffung gewesen ist. Erzwingt die rechtswidrige Leistungsablehnung der Krankenkasse eine privatärztliche Selbstbeschaffung durch den Versicherten, so ziehen die Bestimmungen für privatärztliche Leistungen und nicht diejenigen für das Naturalleistungssystem die Grenzen für die Verschaffung einer entsprechenden Leistung (vgl BSG vom 11.9.2012 - B 1 KR 3/12 R = BSGE 111, 289 = SozR 4-2500 § 27 Nr 23).
Normenkette
SGB V § 13 Abs. 3 S. 1, § 39 Abs. 1 S. 2, § 12 Abs. 1, § 27 Abs. 1 S. 1 Nr. 5; GOÄ § 6a Abs. 1 S. 1
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 25. Januar 2010 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2008 verurteilt, der Klägerin die Kosten der im Juni 2010 selbstbeschafften Magenbypassoperation in Höhe von 10.401,33 € zu erstatten.
Die Beklagte hat der Klägerin ihre zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt nunmehr im Berufungsverfahren die Erstattung der Kosten für eine bei ihr auf Selbstkostenzahlungsbasis stationär am 02.06.2010 durchgeführte Magenbypass-Operation zur Behandlung einer massiven Adipositas.
Die 1970 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet seit ihrer Kindheit an Adipositas per magna bei einer Körpergröße von 168 cm. 1999 hatte sie erstmals ein Gewicht von 100 kg überschritten. Zum Zeitpunkt der streitbefangenen Operation wog sie 146 kg und wies mithin einen Bodymaßindex (BMI) auf, der bei 52,1 kg/qm lag. Die Klägerin hatte seit Kindheit versucht, ihr Übergewicht mit Diäten zu regulieren. Dabei war es teilweise auch zu ganz erheblichen Gewichtsabnahmen (einmal 57 kg) gekommen. Jedoch hatte sie danach in jeweils immer kürzerer Zeit wieder ein Gewicht erreicht, das deutlich über dem Ausgangsgewicht lag (sog. Jojo-Effekt). Im August 2005 hatte sich die Klägerin auf eigene Kosten einen Magenballon zur Gewichtsreduzierung einsetzen lassen. Dadurch war es zunächst zu einer Gewichtsreduzierung von 10 kg gekommen, die aber nach der planmäßigen Entfernung des Magenballons keinen Bestand hatte.
Am 30.08.2006 beantragte die Klägerin unter Bezugnahme auf eine medizinische Stellungnahme des Chefarztes der Chirurgischen Abteilung des Krankenhauses Sachsenhausen und Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Adipositaschirurgie, Prof. Dr. med. D., vom 23.08.2006 sowie unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des psychologischen Psychotherapeuten QW. vom 17.08.2006 die Gewährung einer Magenbypass-Operation im Wege der Sachleistung bzw. Kostenübernahme bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Die Klägerin wog zu diesem Zeitpunkt 147,4 kg bei einer Körpergröße von 168 cm.
Mit Bescheid vom 09.10.2006 lehnte die Beklagte diesen Antrag unter Bezugnahme auf ...