Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. Tod des ursprünglichen Klägers. Fortführung des Ausgangsverfahrens durch den Prozessbevollmächtigten als Miterben. Nichtvermögensschaden für die Zeit vor der Prozessübernahme. Wiedergutmachung auf andere Weise. sozialgerichtliches Verfahren. Gerichtsverfahren nach § 198 Abs 6 Nr 1 GVG. Klageerweiterung. Streitgegenstand. formelle Kriterien. angemessene Laufzeit für ein Ablehnungsverfahren von fünf Monaten beim Landessozialgericht

 

Leitsatz (amtlich)

Verzögerungen in einem überlangen Gerichtsverfahren führen nur bei dem verstorbenen Kläger, nicht bei dem Erben, der das Verfahren nach dessen Tod fortführt, zu einem immateriellen Schaden, der gem § 198 GVG zu entschädigen ist.

 

Orientierungssatz

1. Die Laufzeit des Verfahrens über den Ablehnungsantrag von fünf Monaten beim Landessozialgericht ist für sich genommen nicht zu beanstanden.

2. § 198 Abs 6 Nr 1 GVG definiert das für die Entschädigungsklage streitgegenständliche Gerichtsverfahren streng nach formellen Kriterien.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 02.07.2018; Aktenzeichen B 10 ÜG 2/17 R)

 

Tenor

I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main unter dem Aktenzeichen S 9 P 74/05 geführten Gerichtsverfahrens eine Entschädigung in Höhe von 1.800,00 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 7. Mai 2015 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu 16 Prozent, im Übrigen der Kläger zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Entschädigung für die Dauer eines pflegeversicherungsrechtlichen Gerichtsverfahrens vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main und dem Hessischen Landessozialgericht (S 19 P 2020/04, nach Abtrennung S 9 P 74/05 und L 8 P 24/11). In der Sache stritten die Beteiligten um die Pflegestufe der am ... 2008 verstorbenen früheren Klägerin B. A.

Am 21. Juni 2004 erhob Frau B. A., vertreten durch den Kläger des Entschädigungsverfahrens, Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main und beantragte, ihr "unter Aufhebung der ablehnenden Bescheide" Pflegegeld in Höhe von 2.091,00 € monatlich für den Zeitraum vom 21. März 2003 bis zum 25. Januar 2004 zu zahlen. Am 19. Oktober 2005 erweiterte sie ihre Klage "auf den Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2005" und beantragte nun, ihr für die Zeit vom 21. März 2003 bis zum 25. Januar 2004 Pflegegeld in Höhe von 4.182,00 € monatlich und für die Zeit vom 26. Januar 2004 bis zum 31. März 2005 410,00 € Pflegegeld monatlich zu zahlen.

Mit Beschluss vom 5. November 2005 trennte das Sozialgericht den Rechtsstreit "betreffend die Klage gegen den Rücknahmebescheid vom 4. August 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2005, mit denen der Bewilligungsbescheid vom 3. März 2004 über die Gewährung von Pflegeleistungen nach der Pflegestufe I ab 26. Januar 2004 mit Wirkung vom 1. Januar 2005 aufgehoben worden ist", ab und führte das Verfahren insoweit unter dem Aktenzeichen S 9 P 74/05 weiter.

Am 19. Dezember 2005 ging hinsichtlich der abgetrennten Klage die Klageerwiderung ein. Der nun zuständige Kammervorsitzende forderte bei der Klägerin eine Schweigepflichtentbindungserklärung an, die am 15. Februar 2006 bei Gericht einging. Am 21. Februar 2006 holte das Sozialgericht Befundberichte bei zwei Ärzten ein und zog die Verwaltungsakte des Versorgungsamts Frankfurt am Main bei. Es forderte ferner bei der Klägerin Auskünfte zu den Pflegepersonen an. Am 7. März 2006 ging die Akte des Versorgungsamts ein, im Mai 2006 die angeforderten Befundberichte.

Am 15. Dezember 2006 erinnerte das Gericht die Ärztin Dr. C. an die Übersendung ihres Befundberichts.

Unter dem 17. April 2007 erfragte der Klägervertreter den Sachstand, ohne eine Antwort hierauf zu erhalten. Am 10. Mai 2007 übersandte die Beklagte ein neues Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). Am 16. Mai 2007 erinnerte das Gericht die Ärztin Dr. C. erneut und unter Fristsetzung bis zum 21. Februar 2006 an die Übersendung eines Befundberichts. Am 11. Juni 2007 nahm der Klägervertreter zum Gutachten des MDK Stellung. Am 12. Juni 2007 ging der Befundbericht der Ärztin Dr. C. beim Sozialgericht mit dem Hinweis ein, dass dieser schon im Mai 2006 eingereicht worden sei.

Unter dem 18. Oktober 2007 zog das Sozialgericht die Gerichtsakte L 8 P 10/06 des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) bei. Unter dem 21. November 2007 übersandte das LSG sein Urteil in Kopie, die Akte im Übrigen sei an das Bundessozialgericht (BSG) zur Entscheidung über eine Nichtzulassungsbeschwerde versandt worden.

Mit Schreiben vom 27. Januar 2009 erinnerte das Sozialgericht die Ärztin Dr. C. erneut an die Übersendung eines Befundberichts und drohte - unter Fristsetzung - ihre Ladung als sachverständige Zeugin an.

Mit Verfügung vom 7. April 2009 lud das Sozialgericht den Arzt Dr. D. zur Beweisaufnahme am 23. Apr...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge