Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 1301. Harnblasenkrebs. aromatische Amine. Einwirkung des Gefahrstoffs der Kategorie 2 der MAK-Werte-Liste: P-Chloranilin. haftungsbegründende Kausalität. naturwissenschaftlicher Zusammenhang (1. Prüfstufe). kein wissenschaftlicher Konsens hinsichtlich der Forderung nach einer Mindestdosis für eine Dosis-Wirkungs-Beziehung. Chemiefachwerker

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Erfüllung des Tatbestands der BK Nr 1301 ist nicht erforderlich, dass zwingend ein Gefahrstoff der Kategorie 1 der MAK-Werte-Liste eingewirkt hat.

2. P-Chloranilin ist nach dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse geeignet, auch beim Menschen bösartige Neubildungen der Harnwege herbeizuführen.

3. Für die Forderung nach einer Mindestdosis für eine Dosis-Wirkungs-Beziehung bei der Einwirkung durch aromatische Amine gibt es derzeit keinen wissenschaftlichen Konsens.

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Feststellung der Harnblasenkrebserkrankung des Klägers als Berufskrankheit (BK) nach BK Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) "Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine" und die Gewährung einer Rente.

Am 2. August 2006 zeigte die Sozialarbeiterin der …klinik F… Frau C. das mögliche Bestehen einer BK an. Der 1951 geborene Kläger war ausschließlich bei der ehemaligen DN. AG am Standort D-Stadt als Chemiefachwerker beschäftigt: Von 1967-1969 absolvierte er eine Berufsausbildung zum Chemiefachwerker in der Werkschule, dabei lag keine relevante Exposition gegenüber chemischen Arbeitsstoffen vor. Von 1969-1970 war er im E-Betrieb (Pharma-Vorprodukt) als Chemiewerker tätig. Von 1970-1971 war er im Resocynbetrieb (Herstellung von Gummi-Inhaltsstoffen) Chemiewerker. Von 1971-1972 absolvierte er seinen Wehrdienst als Sanitäter, von 1973-1984 war er Angestellter der werksärztlichen Abteilung der DN. AG. Von 1984-1993 war er im Isocyanatbetrieb als Chemiewerker tätig, die von 1993-1994 im Reduktionsbetrieb und ab 1995 im Diketanbetrieb. Im Juli 2006 wurde bei dem Kläger ein mäßig differenziertes nicht invasives papilläres Urothelcarcinom der Harnblase Stadium pTa, G2 festgestellt. In der Klinik für Urologie und Kinderurologie, Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main, erfolgte am 27. Juli 2006 eine Resektion des erkrankten Gewebes der Harnblase.

Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten führte in seiner Stellungnahme vom 18. Dezember 2006 aus, dass der Kläger bei seiner Tätigkeit in der DN. AG im Isocyanatbetrieb aromatischen Aminen entsprechend der Auflistung in Anlage 1, insbesondere Anilin ausgesetzt war (in Kategorie 3 - K3 - gelistet, alle andere aromatischen Amine seien nicht in der BGIA-Gefahrstoffliste 2006 als kanzerogen aufgeführt). Die Stellungnahme enthält eine handschriftliche Ergänzung vom 29. Januar 2007, wonach der Kläger auch p-Chloranilin (gelistet in K2) ausgesetzt war. Weiter war er gegenüber Benzol und Ranej-Nickel exponiert. Der Landesgewerbearzt empfahl in seiner Stellungnahme vom 23. Januar 2007 die Anerkennung einer BK nach BK Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV.

Prof. Dr. F., Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität E., gelangte im Gutachten vom 31. Mai 2007 zu dem Ergebnis, dass bei Vorliegen der haftungsbegründenden Kausalität das Harnblasenkarzinom ursächlich auf die versicherte Tätigkeit des Klägers zurückzuführen sei. Der Kläger sei von 1984 bis 1993 im Isocyanatbetrieb gegenüber Anilin und p Chloranilin als urothelkanzerogenen aromatischen Aminen exponiert gewesen. Er habe angegeben, nie geraucht zu haben. Die Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Stoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) habe 2006 p-Chloranilin als K2-Stoff sowie Anilin als K4-Stoff eingestuft. Inwieweit aufgrund der Quantität der Exposition die haftungsbegründende Kausalität gegeben sei, müsse durch Expositionsabschätzung durch den TAD entscheiden werden. Die MdE betrüge nach der Erstdiagnose pTaG2 bei dem Stadium 0,G1-2 für die ersten 2 Jahre 50 v.H., für weitere 2 bis 5 Jahre 20 v.H.

Der TAD der Beklagten führte mit Berichten vom 30. August 2007 und 26. Oktober 2007 aus, dass der Kläger während seiner Tätigkeit im Isocynatbetrieb 1984 bis 1993 gegenüber Anilin, para-Chloranilin, 3,4-Dichloranilin und meta-Aminobenzotrifluorid exponiert gewesen sei. Während seiner Tätigkeit an Bahnkesselwagen sei er 10-20mal im Jahr gegenüber para-Chloranilin und/oder 3,4-Dichloranilin und meta-Aminobenzotrifluorid exponiert gewesen. Außerdem seien pro Schicht ca. 18-20 Proben aus Kesseln entnommen worden (para-Chloranilin und/...

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