Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld. Bürgerkriegsflüchtling. Bosnien-Herzegowina. Beschäftigungsland. Gleichstellung
Leitsatz (amtlich)
Einem in der Bundesrepublik Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigten Bürgerkriegsflüchtling aus Bosnien-Herzegowina steht Kindergeld für seine Kinder jedenfalls in Höhe der sich aus dem Deutsch-jugoslawischen Abkommen über Soziale Sicherheit ergebenden Sätze zu. Die in diesem Abkommen geregelte eingeschränkte Gleichstellung hat durch die zum 1. Januar 1994 erfolgte Neufassung des § 1 Abs. 3 BKGG insoweit keine Änderung erfahren.
Normenkette
BKGG § 1 Abs. 3 (Fassung v. 9.7.1990), Abs. 3 (Fassung v. 21.12.1993); SozSichAbk Jugoslawien Art. 28; EG-EStRG Art. 46
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Urteil vom 29.04.1996; Aktenzeichen S-22/Kg-998/94) |
Tenor
I. Auf die Berufungen des Klägers und der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 29. April 1996 abgeändert. Unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 7. Februar 1994 sowie des Widerspruchsbescheides vom 11. März 1994 und unter Berücksichtigung des angenommenen Anerkenntnisses wird die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit ab Januar 1994 bis Dezember 1995 für dessen Tochter … Kindergeld nach Maßgabe des Deutsch-jugoslawischen Abkommens über Soziale Sicherheit zu gewähren. Im übrigen werden die Berufungen zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger 1/7 der außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob und ggf. in welcher Höhe dem Kläger ab Juli 1993 ein Anspruch auf Kindergeld zusteht.
Der am 8. Januar 1963 geborene Kläger, von Beruf Diplom Ingenieur, reiste im April 1992 aus Bosnien-Herzegowina gemeinsam mit seiner Ehefrau … (geb. 28.11.1969) und seiner Tochter … (geb. 13.12.1991) in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er nach dem Übergreifen des Bürgerkrieges auf seine Heimatregion als Bürgerkriegsflüchtling verblieb. Er lebt seither mit seiner Familie im Bundesland Hessen.
Der Kläger besitzt – ebenso wie seine Ehefrau – die Staatsangehörigkeit von Bosnien-Herzegowina. Sein Aufenthalt war nach seiner Einreise zunächst geduldet worden. Die erstmals am 9. Juni 1992 vom Landrat des Main-Kinzig-Kreises ausgesprochene Duldung beruht auf dem Erlaß des Hessischen Ministeriums des Innern und für Europaangelegenheiten vom 7. Mai 1992 (unveröffentlicht; Az. II A 51–23 d). Mit diesem Erlaß wurde im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern die Abschiebung von Personen aus Bosnien-Herzegowina gem. § 54 Ausländergesetz (AuslG) ausgesetzt und die nachgeordneten Behörden angewiesen, den Aufenthalt dieses Personenkreises nach §§ 55, 56 AuslG zu dulden. Der Erlaß vom 7. Mai 1992 galt ursprünglich bis zum 7. November 1992. Er wurde in der Folgezeit – wiederum im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern – für die Dauer von jeweils sechs Monaten verlängert (Erlasse vom 10.9.1992, 10.3.1993, 22.9.1993 usw.).
Nach Maßgabe dieser Erlasse wurde auch beim Kläger verfahren. Die zunächst bis zum 7. November 1992 ausgesprochene Duldung wurde am 8. Oktober 1992 bis zum 31. März 1993 und danach sukzessive für jeweils sechs Monate bis zum 30. September 1995 verlängert. Am 12. Juli 1995 wurde dem Kläger vom Landrat des Main-Kinzig-Kreises eine Aufenthaltsbefugnis erteilt, die am 29. November 1995 jedenfalls bis zum 28. November 1996 verlängert worden ist.
Seit Juni 1992 ist der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland ohne Unterbrechung durch Zeiten von Arbeitslosigkeit versicherungspflichtig beschäftigt. Für die ausgeübten Tätigkeiten verfügte der Kläger jeweils über eine Arbeitserlaubnis. In den streitbefangenen Jahren 1993, 1994 und 1995 wurden die Eheleute … zur Einkommensteuer herangezogen. Für das Jahr 1993 wurde eine Einkommensteuer in Höhe von 6.083,– DM festgesetzt, für 1994 in Höhe von 3.412,– DM und für 1995 in Höhe von 7.801,– DM zuzüglich eines Solidaritätszuschlags in Höhe von 585,07 DM.
Erstmals beantragte der Kläger im Mai 1993 für seine Tochter … die Gewährung von Kindergeld. Dieser Antrag wurde durch Bescheid vom 16. September 1993 bindend abgelehnt.
Am 31. Januar 1994 beantragte der Kläger erneut die Gewährung von Kindergeld. Auch diesen Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 7.2.1994). Der hiergegen gerichtete Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 11. März 1994 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dem Kläger habe weder nach der bis zum 31. Dezember 1993 maßgeblichen Rechtslage ein Anspruch auf Kindergeld zugestanden, noch nach der ab Januar 1994 geltenden Regelung des Bundeskindergeldgesetzes. Für die Zeit bis Dezember 1993 habe ein Anspruch auf Kindergeld gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) nur bestanden, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe. Für Ausländer, die sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hätten,...