Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an den Nachweis der Erwerbsminderung zur Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung

 

Orientierungssatz

1. Der vollständige Nachweis für das Vorliegen von voller Erwerbsminderung i. S. von § 43 Abs. 2 SGB 6 ist erst dann geführt, wenn für das Vorliegen der rentenrechtlichen Tatsachen ein derart hoher, an Gewissheit grenzender Grad von Wahrscheinlichkeit spricht, dass sämtliche Zweifel demgegenüber aus der Sicht eines vernünftigen Menschen zu schweigen haben (BSG Urteil vom 28. 11. 1957, 4 RJ 186/56).

2. Nach § 102 Abs. 2 S. 1 SGB 6 werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet. Die Rentengewährung erfolgt nur dann unbefristet, wenn sie nicht von der Arbeitsmarktlage abhängt und es unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann.

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 17. Januar 2014 geändert und die Klage in dem noch anhängigen Umfang abgewiesen. Die Anschlussberufung des Klägers wird in dem noch anhängigen Umfang zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren zu einem Drittel zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.

Der 1962 geborene Kläger hat in den Jahren 1977 bis 1981 den Beruf des Gas- und Wasserinstallateurs erlernt. Danach orientierte sich der Kläger um und war bei verschiedenen Arbeitgebern (C., D., E.) im Abrechnungs- und Bankenbereich beschäftigt. Von 1986 bis 1988 absolvierte er erfolgreich eine Umschulung zum Bürokaufmann (bankenspezifisch). Danach bestanden bis zum Jahr 2000 diverse Beschäftigungsverhältnisse. Zuletzt war er für eine Schweizer Bank tätig.

Der Kläger stellte am 17. Mai 2010 Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung und verwies dabei u.a. auf HWS- und LWS-Erkrankungen, Arthrose, Osteoporose, Nervenschmerzen und Lähmungen, Tinnitus sowie urologische Beschwerden.

Nachdem der Kläger zu einem Untersuchungstermin in der ärztlichen Untersuchungsstelle der Beklagten nicht erschienen war, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 8. Juli 2010 den Rentenantrag ab. Zur Begründung führte sie aus, trotz Aufforderung sei der Kläger zu den erforderlichen Untersuchungen durch ihren Sozialmedizinischen Dienst nicht erschienen. Dementsprechend hätte nicht festgestellt werden können, ob die Anspruchsvoraussetzungen für die beantragte Rente vorliegen würden.

Der Kläger erhob Widerspruch am 12. August 2010, auf den die Beklagte ein orthopädisches Gutachtens vom 11. November 2010 bei Dr. F. einholte. Der Gutachter stellte nach ambulanter Untersuchung des Klägers vom 8. November 2010 die orthopädischen Diagnosen

1. degeneratives LWS-Syndrom bei Rezidiv-NPP, leichte Knie- und Unterschenkelstreckerschwäche links mit geringer Großzehenheberschwäche rechts,

2. degeneratives Cervikobrachiales Syndrom mit rezidivierenden Pseudo-Cervikobrachialgien bei paramedianem BSV,

3. MFK basisnaher Bruch mit Pseudarthrose rechts,

4. chronische Metatarsalgie beidseits, Vorfußdeformität beidseits,

5. leichtes Impingementsyndrom beider Schultergelenke

und führte unter Berücksichtigung weiterer internistischer Diagnosen aus, der Kläger sei in seinem zuletzt ausgeübten Beruf als Bankkaufmann weiter vollschichtig (überwiegend sitzend) einsatzfähig. Für den allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe ein vollschichtiges Leistungsvermögen hinsichtlich leichter Arbeiten überwiegend im Sitzen, ohne dauerhaftes schweres Heben und Tragen über 10 kg, ohne dauerhafte Zwangshaltungen sowie ohne dauerhaftes Hocken und Ersteigen von Treppen und Leitern.

Nach Veranlassung einer Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes (SMD) vom 16. November 2010 (Dr. G.) lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 29. November 2010 den Rentenantrag des Klägers erneut ab und führte zur Begründung aus, der Kläger erfülle nicht die medizinischen Voraussetzungen für die begehrte Rente. Nach der medizinischen Beurteilung könne er noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.

Durch Widerspruchsbescheid vom 25. Januar 2011 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, der Kläger habe zwar im Zeitpunkt der Rentenantragstellung die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt, er sei jedoch weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Der Kläger könne noch sechs Stunden und mehr täglich leichte Arbeiten mit Einschränkungen ausüben. Es liege auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, sodass es deswegen der Benennung einer Verweisungstätigkeit nicht bedürfe.

Mit der am 23. Februar 2011 erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter und machte geltend, er sei voll erwerbsgemindert bzw. aus gesundheitlichen Gründen nicht...

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