Entscheidungsstichwort (Thema)
Elterngeld. Anspruchsberechtigung. mehrjähriger Auslandsaufenthalt. Tätigkeit bei rechtlich selbstständiger Tochtergesellschaft des inländischen Arbeitgebers in den USA. Beibehaltung der Wohnung in Deutschland. Voraussetzungen einer Aufrechterhaltung des Inlandswohnsitzes. Ausstrahlung gemäß § 4 SGB 4. bloßes Rumpfarbeitsverhältnis zum inländischen Arbeitgeber nicht ausreichend. Verfassungsmäßigkeit. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rücknahme nach § 45 SGB 10. grob fahrlässiges Handeln iS von § 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB 10. Ermessen
Orientierungssatz
1. Ist ein Auslandsaufenthalt von vornherein auf mehr als ein Jahr angelegt, reichen für die Aufrechterhaltung des Inlandswohnsitzes die Feststellung der Rückkehrabsicht und der Möglichkeit der jederzeitigen Rückkehr in die Wohnung allein nicht aus; auch kurzzeitige Besuche und sonstige kurzfristige Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs- oder familiären Zwecken, die nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkommen, ändern daran nichts.
2. Ein zu dem inländischen Arbeitgeber nur noch bestehendes Rumpfarbeitsverhältnis ist für die Annahme eines Ausnahmetatbestandes iS des § 1 Abs 2 S 1 Nr 1 BEEG aF nicht ausreichend. Diese enge Auslegung bzw die Begrenzung von Leistungen nach dem BEEG auf Fälle einer Ausstrahlung gemäß § 4 SGB 4 begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten.
3. Der Vorwurf des grob fahrlässigen Handels iS von § 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB 10 erfasst nicht nur die aktive Angabe eines unrichtigen Sachverhalts, sondern auch ein passives Verschweigen von Umständen, die ursprünglich zutreffend waren, sich jedoch noch vor Erlass des maßgeblichen Bewilligungsbescheids geändert haben und dadurch nach Kenntnis des Betroffenen nachträglich - aber noch im zeitlichen Anwendungsbereich des § 45 SGB 10 - unrichtig geworden sind.
4. Zur Ermessensausübung im Rahmen des § 45 SGB 10.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 28. Januar 2016 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Elterngeld nach den Vorschriften des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) für das 2014 geborene Kind der Klägerin B. (S 11 EG 5/15) sowie die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Bewilligung und Rückforderung von Elterngeld in Höhe von 4.262,16 € für den 7. bis 12. Lebensmonat des Kindes C. (S 11 EG 11/15) streitig.
Die 1976 geborene Klägerin, amerikanische Staatsangehörige, und ihr Ehemann, D., französischer Staatsangehöriger, sind Eltern der Kinder E. (geboren 2008), C. (geboren 2010) und B. (geboren 2014 in den USA). Für das Kind E. bezog die Klägerin in der Zeit vom 31. Dezember 2008 bis 30. Dezember 2009 (Bescheid vom 25. März 2009) und für das Kind C. in der Zeit vom 28. Juli 2010 bis 27. Juli 2011 (Bescheid vom 2. August 2013) Elterngeld. Vom 1. Januar 2011 bis 31. Juli 2015 hielt sich die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann und ihren Kindern in den USA auf. Ihr Ehemann war dort ausweislich einer aktenkundigen Bescheinigung der F. AG F-Stadt vom 19. August 2014 im Rahmen eines Auslandseinsatzes bei der F. in G-Stadt beschäftigt. Bis dahin war er Beschäftigter der F. AG F-Stadt. Nach den Angaben in der genannten Bescheinigung ruhte während des Auslandseinsatzes das Arbeitsverhältnis mit der F. AG und in den USA sei ein befristeter Arbeitsvertrag geschlossen worden. Weiter wurde bescheinigt, dass der Ehemann der Klägerin nach Beendigung des Auslandseinsatzes wieder bei der F. AG beschäftigt und in den normalen Geschäftsbetrieb integriert werde.
Die Klägerin und ihr Ehemann stellten am 17. November 2014 Antrag auf Elterngeld für das Kind B. und legten für die Klägerin als Bezugszeitraum den 1. bis 12. Lebensmonat fest. Der Beklagte lehnte durch Bescheid vom 27. Februar 2015 den Antrag mit der Begründung ab, der Anspruch auf Elterngeld hänge unter anderem davon ab, dass die Klägerin ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe. Beides treffe auf die Klägerin nicht zu, sodass ihr Elterngeld nicht zustehe.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch mit Schreiben vom 16. März 2015 und machte geltend, sie habe ihren Wohnsitz weiterhin in Deutschland, denn sie verfüge für sich und ihre Familie über eine jederzeit bezugsfähige Wohnung in H-Stadt. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass sie und ihr Ehemann in Deutschland einkommensteuerpflichtig seien. Ihr Ehemann sei lediglich von der F. AG ins Ausland entsandt worden und die Familie kehre im Juli 2015 nach Deutschland zurück. Ergänzend wies die Klägerin darauf hin, dass sie weiterhin Kindergeld erhalte und Beiträge zur Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung gezahlt würden. Hierzu legte sie Meldebescheinigungen zur Sozialversicherung der F. AG für die Jahre 2011 bis 2014, einen Bescheid der Bundesagentur für Arbeit - Familienkasse Hes...