Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfe zur angemessenen Schulbildung. Zuweisung der Schulverwaltungsbehörde an die Staatliche Förderschule. keine Übernahme des Schulgeldes für Besuch einer anthroposophischen Privatschule. nach Waldorf-Lehrplan ausgerichtete Ausbildung. Bedarfsdeckung. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Wunsch eines behinderten Kindes bzw dessen gesetzlicher Vertreter, eine schulgeldpflichtige Privatschule mit anthroposophischer Ausrichtung zu besuchen, begründet bei Zuweisung der Schulverwaltungsbehörde an die Staatliche Förderschule und gleicher Geeignetheit der Schulen grundsätzlich keinen Anspruch auf Übernahme des Schulgeldes durch den Sozialhilfeträger im Rahmen der Eingliederungshilfe. Dem steht der Grundsatz des Nachrangs von Sozialleistungen gem § 2 SGB 12 entgegen.
2. Eine nach Waldorf-Lehrplan ausgerichtete Ausbildung stellt kein eigenes sozialhilferechtliches Element der Existenzsicherung mit daraus folgendem Anspruch auf Bedarfsdeckung dar.
3. Offen bleibt, ob im Rahmen gegebener Einzelfallgesichtspunkte behinderungsbedingt der (fortgesetzte) Besuch einer privaten Schule mit Waldorf-Pädagogik zum Erreichen einer angemessenen Schulbildung iS § 54 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 12, § 12 Nr 2 EinglVO (juris: BSHG§47V) erforderlich sein kann.
4. Besteht kein Anspruch auf Eingliederungshilfeleistungen wegen bestehender Bedarfsdeckung durch Besuch der staatlichen Förderschule, kann aus § 9 Abs 2 SGB 12 (Wunschrecht des Leistungsberechtigten) kein Anspruch hergeleitet werden.
Normenkette
SGB XII § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, §§ 2, 9 Abs. 2, § 53 Abs. 1, § 60; EinglVO § 12 Nr. 2; SGB IX § 2 Abs.1; HessSchulG § 54; GG Art. 6 Abs. 2 S. 1, Art. 7 Abs. 4 S. 1
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 11. November 2008 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Übernahme von Schulgeld in Höhe von monatlich 303,92 Euro für den Besuch einer Privatschule als Maßnahme der Eingliederungshilfe in Form von Hilfe zur angemessenen Schulausbildung nach dem Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch (SGB XII).
Der 1997 geborene Kläger leidet seit seiner Geburt an dem Rubinstein-Taybi-Syndrom mit Absence-Epilepsie, verzögerter Entwicklung, Minderwuchs und geistiger Behinderung, verbunden mit Hyperaktivität und teilweiser Aggressivität. Er lebt seit seinem 4. Lebensmonat in einer Pflegefamilie (der Familie A.). Ab seinem 4. Lebensjahr besuchte der Kläger das integrative I.-Kinderhaus in A-Stadt. Bei bestehender Schulpflicht seit dem 1. August 2003 wurde der Kläger “aus pädagogischen Gründen und aufgrund seiner erheblichen Entwicklungsbeeinträchtigungen„ ein Jahr vom Schulbesuch zurückgestellt.
Auf der Grundlage eines sonderpädagogischen Gutachtens des Sonderschullehrers HR., vorgelegt am 7. März 2005, stellte das Staatliche Schulamt für den Landkreis A-Stadt und den S-Kreis am 22. März 2005 bzw. 31. Mai 2005 für den Kläger sonderpädagogischen Förderbedarf im Sinne des Besuchs einer Schule für Praktisch Bildbare fest und wies den Kläger nach Anhörung und Beratung der Eltern zur sonderpädagogischen Förderung ab 1. August 2005 der staatlichen MR.-Schule in A-Stadt zu.
Auf den Wunsch der Pflegeeltern des Klägers, diesen statt in der staatlichen MR.-Schule in der privaten BM.-Schule beschulen zu lassen, veranlasste das Staatliche Schulamt eine Stellungnahme zum sonderpädagogischen Förderbedarf vom 4. April 2005 durch das integrative I.-Kinderhaus in A-Stadt. Hierin wurde durch die Leiterin des Kinderhauses, VNZ., die Einschätzung geteilt, dass der Kläger im Bereich “praktisch bildbar„ beschult werden müsse. Weiter wird ausgeführt: “Wir denken, dass die BM.-Schule mit ihren Beschulungsmöglichkeiten einen entsprechenden Rahmen bieten könnte, der auch durch die Rhythmisierung seinen Erfahrungen im Kinderhaus entsprechen würde. Da sich sehr stark an allen Vorbildern orientiert, könnten die gewonnenen Fähigkeiten durch ein fehlendes Vorbild sehr schnell wieder verschwinden. Es wäre wünschenswert, wenn die Möglichkeit bekommen könnte, seine positive Entwicklung weiter auszubauen und zu festigen„.
Mit Schreiben vom 26. Juli 2005 teilte das Staatliche Schulamt für den Landkreis A-Stadt und den S-Kreis den Pflegeeltern des Klägers mit, vor dem Hintergrund der sonderpädagogischen Stellungnahme vom 4. April 2005 könne der Kläger nicht der BM.-Schule zugewiesen werden. Aus der genannten Stellungnahme werde deutlich, dass zwar eine Beschulung in der BM.-Schule für den Kläger eine mögliche Beschulungsalternative sein könne; aus der Stellungnahme gehe jedoch nicht die zwingende Notwendigkeit der Zuweisung zu der genannten Schule hervor. Allerdings werde hiermit gestattet, dass der Kläger anstatt in der zuständigen MR.-Schule in der BM.-Schule beschult werde.
Der Kläger wurde am 1. ...