Entscheidungsstichwort (Thema)
Wohngeldantrag und -bewilligung. unterlassene Antragstellung nach SGB 2. keine Rückwirkung des verspäteten Antrags. kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Arbeitslosengeld II. Auslegung. Grundsatz der Meistbegünstigung. Rangverhältnis. Pflichtverletzung. spontane Beratung
Orientierungssatz
1. Ein bei der Wohngeldstelle gestellter Antrag, der allein auf die Gewährung eines Mietzuschusses bzw von Wohngeld nach WoGG 2 gerichtet ist, umfasst nicht zugleich den Antrag auf Gewährung von Leistungen nach SGB 2.
2. Ein verspätet gestellter Antrag nach § 37 SGB 2 wirkt auch nicht gem § 28 SGB 10 auf den streitgegenständlichen Zeitraum zurück, wenn Wohngeld als zuerst beantragte Leistung nicht versagt, sondern bewilligt wurde und auch nicht zu erstatten war.
3. Zum Nichtvorliegen der Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.
Normenkette
SGB II §§ 37, 5, 9 Abs. 1, §§ 12, 40 Abs. 1 S. 1; SGB I § 16 Abs. 2; SGB X § 28; WoGG § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, S. 4, Abs. 5
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 8. Juli 2010 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger begehren von der Beklagten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 22. Februar 2006 bis zum 3. September 2006.
Die Klägerin zu 1. beantragte erstmals im Mai 1989 Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). In der Folgezeit stand sie zumindest bis April 1997 im BSHG-Leistungsbezug.
Am 22. Februar 2006 beantragte die Klägerin zu 1. einen Mietzuschuss nach dem Wohngeldgesetz beim Wohnungsamt der Beklagten. Mit Schreiben vom 23. Februar 2006 wies das Wohnungsamt die Klägerin zu 1. darauf hin, dass die von ihr angegebenen Einnahmen den monatlichen Bedarf nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) in Höhe von mindestens 1.088,15 Euro um 376,87 Euro unterschritten. Die Klägerin zu 1. werde daher um Stellungnahme gebeten, wie es ihr möglich sei und gewesen sei, den Lebensunterhalt mit derart geringen Einnahmen zu bestreiten. Die Klägerin zu 1. legte daraufhin Nachweise u. a. über eine steuerfreie Aufwandsentschädigung und ein Sparguthaben über 6.249,91 Euro vor. Die der Klägerin zu 1. außerdem in der Zeit von Februar 2006 bis einschließlich August 2006 von Herrn X. in bar ausgezahlten Darlehn (zwischen 200,00 Euro und 450,00 Euro monatlich) gab die Klägerin gegenüber dem Wohnungsamt nicht an. Mit Bescheid vom 23. März 2006 bewilligte das Wohnungsamt der Beklagten der Klägerin zu 1. für die Zeit vom 1. Februar 2006 bis zum 31. Januar 2007 Wohngeld in Höhe von 298,00 Euro monatlich.
Am 1. September 2006 beantragte die Klägerin zu 1. bei der Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 6. September 2006 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit der Klägerin zu 1. Arbeitslosengeld in Höhe von 242,77 Euro monatlich für die Zeit vom 1. September 2006 bis zum 30. August 2007.
Am 4. September 2006 beantragte die Klägerin zu 1. bei der Beklagten Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheiden vom 9. Oktober 2006, vom 25. April 2007, vom 18. Mai 2007 und vom 30. Mai 2007 bewilligte die Beklagte den Klägern Leistungen nach dem SGB II ab 4. September 2006.
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 25. Juli 2007, bei der Beklagten am selben Tage eingegangen, beantragten die Kläger u. a., ihnen bereits ab Antragstellung bei der Arbeitsagentur bzw. bei der Wohngeldstelle Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vor dem 4. September 2006 mit Bescheid vom 14. September 2007 ab. Dagegen legten die Kläger mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 17. Oktober 2007 Widerspruch ein. Zur Begründung hat der Bevollmächtigte vorgetragen, das Schreiben der Wohngeldstelle vom 23. Februar 2006 enthalte keinerlei Hinweise dazu, dass die Kläger einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gehabt hätten. In dem Schreiben sei lediglich von Mindestbedarfssätzen nach dem SGB die Rede. Es sei nicht ersichtlich, wie ein betroffener Bürger, der sich mit der Materie des SGB überhaupt nicht auskenne, aus diesem Schreiben hätte entnehmen können, dass er bei einer anderen Behörde höhere Leistungen hätte beanspruchen können. Da sich Leistungen auf Wohngeld und Leistungen nach dem SGB II gegenseitig ausschlössen, hätte die Wohngeldstelle den Wohngeldantrag an den SGB II-Leistungsträger weiterleiten müssen, zumindest aber über weitere Ansprüche aufklären und beraten müssen. Da dies nicht geschehen sei, greife zu Gunsten der Kläger der sozialrechtliche Herstellungsanspruch. Dieser ersetze die fehlende ausdrückliche Antragstellung nach dem SGB II. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Die Kläger haben am 23. Juni 2008 beim Sozialgericht Wiesbaden Klage erhoben. Zur Begrü...