Verfahrensgang
SG Gießen (Urteil vom 01.12.1994; Aktenzeichen S-1/U-1578/93) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 1. Dezember 1994 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.
Die 1952 geborene Klägerin ist bei der Kreissparkasse … in der Zentralstelle am … Weg 1 beschäftigt. Am Morgen des 28. Juli 1992 verließ die Klägerin um 7.05 Uhr ihre Wohnung und fuhr mit ihrem Sohn zu dem … Friedhof, wo ihr die Pflege zweier Gräber obliegt. Auf der ca. 5 Minuten dauernden Autofahrt zum Friedhof passierte die Klägerin den nahen Verkehrsraum ihrer Arbeitsstätte und setzte den Weg in entgegengesetzter Richtung fort. Nachdem die Klägerin auf dem Friedhof ihre Arbeit verrichtet hatte, begab sie sich von dort aus zu Fuß um ca. 7.40 Uhr auf den Weg zu ihrer Arbeitsstätte, um dort um 8.00 Uhr ihren Dienst anzutreten. Um 7.45 Uhr rutschte die Klägerin in der Kleist-Straße auf herabgefallenen Kirschen aus und brach sich dabei das rechte Handgelenk. Die Klägerin befand sich zum Unfallzeitpunkt noch nicht auf dem gewöhnlichen Weg zur Arbeitsstätte. Diesen Weg nimmt die Klägerin normalerweise zu Fuß gehend von ihrer Wohnung in der Friedrich-Brinkmann-Straße aus über die Westerwaldstraße und Limburger Straße zum Odersbacher Weg. Laut Auskunft der Stadt … beträgt der Fußweg von der Wohnung der Klägerin in der Friedrich-Brinkmann-Straße 5 zu ihrer Arbeitsstätte im Odersbacher Weg 1 ca. 830 m und der Fußweg vom Friedhof in der Braunsfelder Straße zur Arbeitsstätte der Klägerin ca. 1.340 m.
Mit Bescheid vom 20. April 1993 lehnte der Beklagte die Gewährung einer Entschädigung aus Anlaß des Ereignisses vom 28. Juli 1992 ab. Die Klägerin habe sich zum Unfallzeitpunkt nicht auf dem direkten Weg von ihrer Wohnung zur Arbeitsstätte befunden. Sie habe den Friedhof in … aus rein privaten Gründen aufgesucht. Hierbei handele es sich um einen unversicherten Abweg, weil die Klägerin auf dem Rückweg noch nicht den eigentlichen, versicherten Weg erreicht gehabt habe.
Mit ihrem am 4. Mai 1993 eingegangenen Widerspruch vertrat die Klägerin die Auffassung, es habe sich nicht um einen Abweg gehandelt. Sie habe vielmehr von dem Friedhof aus – als einem eigenständigen dritten Ort – den Weg zur Arbeitsstätte angetreten. Den Widerspruch wies der Beklagte durch Bescheid vom 9. Dezember 1993 zurück und führte aus, es habe sich bei dem zurückgelegten Weg nicht um einen sog. Weg vom dritten Ort gehandelt. Die Aufenthaltsdauer auf dem Friedhof sei nicht so erheblich gewesen. Auch stehe der Weg vom Friedhof zur Arbeitsstätte in keinem angemessenen Verhältnis zu dem sonst üblichen Fußweg.
Die Klägerin hat hiergegen am 29. Dezember 1993 beim Sozialgericht Gießen (SG) Klage erhoben. Das SG hat durch Urteil vom 1. Dezember 1994 die Beklagte verurteilt, den Unfall der Klägerin vom 28. Juli 1992 als Arbeitesunfall anzuerkennen und in gesetzlichem Umfang zu entschädigen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Klägerin habe am Unfalltag ihren Weg zur Arbeitsstätte vom Friedhof aus angetreten. Der Weg von einem dritten Ort setze einen erheblichen Aufenthalt an diesem Ort voraus. Für die Anerkennung einer Erheblichkeit sprächen im vorliegenden Fall die Zeitdauer und bei natürlicher Betrachtungsweise die Umstände, daß die Klägerin das Haus schon früher als sonst verlassen habe, um auf dem Friedhof ihre Tätigkeiten zu verrichten und sie auf dem Weg zum Friedhof und von dort zur Arbeitsstätte die Fortbewegungsart gewechselt habe. Der Fußweg der Klägerin von dem Friedhof zur Arbeitsstätte sei nicht übermäßig länger als der Fußweg von der Wohnung zur Arbeitsstätte. Beide Wegstrecken lägen im üblichen Fußpendelbereich innerhalb der Stadt …. Eine besondere Erhöhung der Unfallgefahr habe deshalb nicht vorgelegen.
Gegen dieses ihm am 19. Dezember 1994 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 21. Dezember 1994 – eingegangen am 22. Dezember 1994 – beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und geltend gemacht, der Aufenthalt der Klägerin auf dem Friedhof sei nicht erheblich gewesen. Dieser Aufenthalt erlange durch die zufällige Gegebenheit, daß die Klägerin die Fortbewegungsart gewechselt habe, keine versicherungsrechtlich selbständige Bedeutung. Auch der Umstand, daß die Klägerin „extra früher los” sei, um ihre Tätigkeiten auf dem Friedhof zu verrichten, gebe dem dortigen Aufenthalt keine versicherungsrechtlich selbständige Bedeutung. Zudem sei hier von Bedeutung, daß es „betriebliche” Momente für den Aufenthalt der Klägerin auf dem Friedhof nicht gebe. Dies sei jedoch bei einem Arztbesuch oder der Essenseinnahme vor Beginn der Schichtarbeit der Fall. Dennoch habe das Bundessozialgericht (BSG) einen Aufenthalt von einer knappen halben Stunde anläßlich eines Arztbesuches n...