Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hilfsmittel ≪hier Therapiedreirad≫ für einen gehbehinderten Versicherten. Bewegungsfreiheit als Grundbedürfnis des täglichen Lebens. keine vollständige Gleichstellung mit der gewöhnlich zu Fuß zurückgelegten Wegstrecke eines gesunden Versicherten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst die Versorgung mit einem Hilfsmittel, wenn Grundbedürfnisse des täglichen Lebens eines behinderten Versicherten betroffen sind. Zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens zählt auch die "elementare Bewegungsfreiheit" eines behinderten Versicherten iS eines Basisausgleichs. In diesem Zusammenhang kann im Einzelfall ein Leistungsanspruch eines gehbehinderten Versicherten auf Versorgung mit einem Therapiedreirad bestehen.

2. Die Versorgung eines gehbehinderten Versicherten mit einem Therapiedreirad ist von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung weder generell ausgeschlossen noch generell erfasst. Das Ermöglichen des Radfahrens für einen behinderten Versicherten gehört nicht zu den Leistungspflichten der gesetzlichen Krankenversicherung.

3. Die Wegstrecke, die ein gesunder Versicherter zu Fuß gewöhnlich zurücklegt bestimmt nicht das Mindestmaß des Leistungsanspruchs des behinderten Versicherten, da er keine vollständige Gleichstellung von der gesetzlichen Krankenversicherung verlangen kann. Diese Wegstrecke stellt vielmehr eine Begrenzung des Versorgungsanspruchs des behinderten Versicherten auf das Notwendige dar.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. Dezember 2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um den Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit einem Therapiedreirad.

Die bei der Beklagten versicherte Klägerin ist im Jahr 1974 geboren. Bei ihr besteht eine spastische Spinalparalyse mit Paraspastik beidseitig mit ataktischer Gangstörung.

Die Beklagte versorgte die Klägerin mit orthopädischen Maßschuhen und einem Rollator.

Im Mai 2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Versorgung mit einem Therapiedreirad unter Vorlage einer Hilfsmittelverordnung der K.-Klinik und eines Kostenvoranschlages in Höhe von 2.287,72 €.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22. Mai 2003 die Kostenübernahme ab. Ein Fahrrad sei ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Dies gelte auch für Fahrräder mit einer behindertengerechten Ausstattung. Lediglich gehbehinderten Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren könne im Einzelfall ein Therapiedreirad als Hilfsmittel bewilligt werden. Dies geschehe nicht nur zum Ausgleich einer Gehbehinderung, sondern auch mit dem Ziel der günstigen Beeinflussung der Koordination bzw. des Gleichgewichtssinns in der Entwicklungsphase.

Die Klägerin begründete ihren dagegen eingelegten Widerspruch im Wesentlichen wie folgt: Bei dem beantragten Therapiedreirad handele es sich nicht um einen Gegenstand des täglichen Lebens. Durch die Nutzung des Therapiedreirades könne vielmehr der Erfolg der durchgeführten Heilbehandlung gesichert werden durch das grobmotorische Muskeltraining, die Förderung der Koordination zwischen Armen und Beinen, das Ausdauertraining und durch die Unterstützung der krankengymnastischen Behandlung. Mit dem Therapiedreirad solle auch ihre Mobilität verbessert werden. Zudem solle der Gebrauch des Therapiedreirades eine Verschlimmerung der Behinderung verhüten, mildern bzw. ausgleichen. Deshalb habe die Reha-Einrichtung K.-Klinik das Therapiedreirad verordnet.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 1. August 2003 als unbegründet zurück. Dazu führte sie ergänzend aus, das beantragte Therapiedreirad sei nicht erforderlich, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern oder einer drohende Behinderung vorzubeugen. Die physikalische Therapie stehe zur Sicherung der Mobilität, als Muskeltraining und zur Förderung der Koordinationsfähigkeit zur Verfügung. Diese Therapie sei zudem mit geringeren Kosten verbunden. Ein Hilfsmittel sei darüber hinaus nur erforderlich, wenn es für allgemeine Grundbedürfnisse benötigt werde. Radfahren zähle nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht zu den Grundbedürfnissen, für die die Krankenkasse ein Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen habe.

Dagegen hat die Klägerin am 25. August 2003 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben.

Sie stützt den geltend gemachten Anspruch auf eine ärztliche Bescheinigung von Dr. D. vom 24. November 2003 und vom 7. Juli 2005 nebst einer erneuten Verordnung eines Therapiedreirades vom 7. Juli 2005. Nach dieser ärztlichen Bescheinigung sei sie nicht in der Lage, eine Gehstrecke ohne Gehilfe zu bewältigen (Gehstrecke 0 Meter), mit Gehilfe - Gehstock - könne sie fünf Meter Gehstrecke bewältigen und mit einem Rollator könne sie etwa 30 Minuten auf ebener Strecke unterwegs sein (mit kleineren Pausen). Mit ...

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