Verfahrensgang
SG Kassel (Urteil vom 29.01.1971) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 29. Januar 1971 abgeändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 18. September 1968 verurteilt, dem Kläger Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit in gesetzlicher Höhe ab 1. April 1968 zu gewähren.
Die Beklagte hat die Kosten des Klägers zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der im Jahre 1923 geborene Kläger war von 1940 bis 1942 als kaufmännischer Lehrling versicherungspflichtig beschäftigt. Nach Abschluß der Lehre mit der Gehilfenprüfung leistete er Kriegsdienst. Im Juni 1946 trat er als Geschäftsführer in das väterliche Geschäft, einer Kohlen-, Düngemittel-, Getreide- und Futtermittelhandlung ein. Dieses Geschäft hat er von seinem Vater übernommen.
Seit 1954 ist der Kläger freiwillig weiterversichert. Er entrichtete zunächst Beiträge des Klasse XI, für 1957 bis 1961 für jedes 1962 12 Beiträge der Klasse M, für 1963 12 Beiträge der Klasse N, für 1964 12 Beiträge der Klasse P, für 1965 12 Beiträge der Klasse R, für 1966 12 Beiträge der Klasse T, für 1967 12 Beiträge der Klasse V und im Jahre 1968 12 Beiträge der klasse 1600.
Im März 1968 beantragte der Kläger nach einem Unfall im Januar 1968 die Gewährung von Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Nach dem zum Rentenantrag eingeholten Gutachten des Chirurgen Dr. K. ist der Kläger noch in der Lage, als kaufmännischer Angestellter täglich 5 Stunden eine sitzende Beschäftigung auszuüben. Arbeiten im Stehen, Laufen und längeren belastenden Einhergehen sind dagegen nicht zumutbar. Auf Grund dieses Gutachtens hat die Beklagte durch Bescheid vom 18.9.1968 den Rentenantrag abgelehnt.
Im Klageverfahren trug der Kläger vor, er sei seit 1946 ununterbrochen als Kohlen-, Düngemittel-, Getreide- und Futtermittelhändler tätig. Sein Geschäft sei so klein, daß er es nur als Einmannbetrieb betreiben könne. Er müsse alle vorkommenden Arbeiten, wie z.B. Kohlen entladen, Säcke schleppen, Lastkraftwagen fahren, alleine ausführen. Seither habe er nur stundenweise bezahlte Aushilfskräfte beschäftigt. Wegen seines Gesundheitszustandes könne er die in seinem Geschäft anfallenden Arbeiten nicht mehr verrichten. Die Beklagte trug demgegenüber vor, der Kläger müsse sich auf die Tätigkeit eines kaufmännischen Angestellten in gehobener Position verweisen lassen. Die vom Kläger ausgeübte selbständige Tätigkeit sei für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit nicht maßgebend. Mit seinem Leistungsvermögen könne der Kläger noch mindestens halbtags in einem Handelsberuf (z.B. als Lagerverwalter) tätig sein. Insoweit sei der Arbeitsmarkt im gesamten Bundesgebiet nicht verschlossen.
Das Sozialgericht holte beim Kreiskrankenhaus H. einen Befundbericht über den Gesundheitszustand des Klägers ein. Hiernach ist der Kläger in der Lage, täglich 5 Stunden in seinem Betrieb tätig zu sein. Das Sozialgericht holte weiter eine Auskunft beim Finanzamt R. über die Ertragslage des vom Kläger betriebenen Geschäftes ein. Nach der Auskunft vom 2.9.1970 wurde im Jahre 1967 ein Umsatz von 328.131,70 DM der Veranlagung zugrundegelegt, während im Kalenderjahr 1968 nur noch ein Umsatz von 276.591,52 DM erzielt wurde. Der Umsatzrückgang sei offensichtlich auf die Erkrankung des Klägers zurückzuführen. Aus den vom Kläger vorgelegten Bilanzen für 1967 und 1968 geht hervor, daß die Aufwendungen für Löhne von 10.136,75 DM im Jahre 1967 auf 21.744,10 DM im Jahre 1968 gestiegen sind.
Durch Urteil vom 29.1.1971 hat das Sozialgericht Kassel die Klage abgewiesen mit der Begründung, infolge eines Unfalls im Jahre 1968 sei der Kläger längere Zeit arbeitsunfähig erkrankt gewesen, diese Arbeitsunfähigkeit sei jedoch nicht ohne weiteres identisch mit der Berufsunfähigkeit des § 23 AVG. Sein Gesundheitszustand habe ihn nicht gehindert, seinen Beruf als selbständiger Unternehmer bis zum Unfalltage auszuüben. Schließlich sei nach dem Gesetz auf den erlernten Beruf zurückzugreifen. Dies sei derjenige eines kaufmännischen Angestellten, der nicht größeren körperlichen Strapazen ausgesetzt sei. Als leitender Angestellter sei der Kläger nicht berufsunfähig.
Gegen dieses am 14.5.1971 zwecks Zustellung zur Post gegebene Urteil richtet sich die am 15.6.1971 beim Hess. Landessozialgericht eingelegte Berufung des Klägers. Der Kläger rügt, daß das Sozialgericht die Erwerbsunfähigkeit nach den Folgen des im Januar 1968 erlittenen Unfalles beurteilt habe. Aus dem im Verwaltungsverfahren erstatteten ärztlichen Gutachten gehe jedoch hervor, daß er berufs- und erwerbsunfähig sei. Eine weitere ärztliche Begutachtung, gegebenenfalls nach § 109 SGG, müsse dies bestätigen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 29.1.1971 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18.9.1968 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit in gesetzlicher Höhe ab Antragstellung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält...