Entscheidungsstichwort (Thema)
Haushaltsaufnahme. Wohnsitz. gewöhnlicher Aufenthalt. ausländische Staatsangehörige. Studienort, Kindergeld
Leitsatz (amtlich)
Es gibt keinen Erfahrungssatz dahingehend, daß bei volljährigen Studierenden nichtdeutscher Staatsangehörigkeit mit der Wahl eines Studienortes im Land der ausländischen Staatsangehörigkeit zugleich die Aufgabe des zuvor innegehabten inländischen Wohnsitzes bzw. des gewöhnlichen Aufenthaltes sowie der zuvor bei den Eltern bestehenden Haushaltsaufnahme verbunden ist.
Auch bei solchen Studierenden müssen deshalb – wie bei Studierenden deutscher Staatsangehörigkeit – besondere Umstände hinzutreten, die auf eine dauerhafte Lösung von den bisherigen räumlichen und örtlichen Lebensverhältnissen schließen lassen.
Normenkette
BKGG § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 S. 1; SGB I § 30
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Urteil vom 01.10.1990; Aktenzeichen S-22/Kg-2480/88) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. Oktober 1990 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte verurteilt wird, dem Kläger für seine Stieftochter O. A. in der Zeit von Oktober 1987 bis Juni 1992 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger für seine Stieftochter O. A. in der Zeit ab Oktober 1987 bis einschließlich Juni 1992 Kindergeld zusteht.
Der Kläger ist 1946 in Bukarest geboren. Seit 1970 lebte er in Israel, dessen Staatsangehörigkeit er bis 1990 besaß. Der Kläger ist seit 1973 mit der im Jahre 1942 geborenen A. S. verheiratet. Die gemeinsame Tochter S. ist am 23. Juli 1978 in Israel, der gemeinsame Sohn D. am 15. November 1983 in Offenbach geboren. A. S. lebte seit ihrer Geburt als israelische Staatsangehörige zunächst in Israel. Sie war in erster Ehe mit A. A. verheiratet. Aus dieser Ehe ist die am 21. Juni 1965 geborene O. A. hervorgegangen. A. A. ist 1967 verstorben.
Im September 1979 übersiedelte der Kläger gemeinsam mit seiner Ehefrau, seiner Tochter S. und mit seiner mit ihm seit 1970 in einem gemeinsamen Haushalt lebenden Stieftochter O. in die Bundesrepublik Deutschland.
Im streitbefangenen Zeitraum verfügten die Eheleute S. zunächst über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Seit Juni 1990 sind sie durch Einbürgerung deutsche Staatsangehörige geworden. O. A. ist weiterhin israelische Staatsangehörige.
O. A. besuchte seit Januar 1980 die „Frankfurt International School” in Oberursel. Bei der „Frankfurt International School” handelt es sich um eine staatlich anerkannte Privatschule mit Englisch als Unterrichtssprache, an der ein Abschluß absolviert werden kann, der dem US-amerikanischen High School Diplom entspricht. Diesen Schulabschluß erreichte O. im Juni 1983. Der High-School-Abschluß berechtigt die in der Bundesrepublik Deutschland Ansässigen nicht zur Aufnahme des Studiums an einer deutschen Hochschule.
Nach Beendigung des Schulbesuches bemühte sich O. A. um die Erlangung eines Studienplatzes in Israel. Zu Beginn des Jahres 1984 reiste sie deshalb nach Israel, wurde jedoch dort zunächst zum Wehrdienst in der israelischen Armee eingezogen. Ihr – noch während der Wehrdienstzeit fortgeführtes – Bemühen um eine Studienplatzzuteilung in Israel blieb zunächst erfolglos. Nach Ableistung des ca. 2 1/2-jährigen Wehrdienstes kehrte O. deshalb zu Beginn des Jahres 1987 in die elterliche Wohnung in Offenbach zurück. Aufgrund ihres Antrags vom 2. Februar 1987 wurde ihr zunächst eine zeitlich befristete und mit Wirkung vom 17. Mai 1987 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland erteilt.
Im Verlauf des Jahres 1987 erhielt O. A. einen Zulassungsbescheid der Universität Jerusalem für das Studienfach Ernährungswissenschaften. Im Juni 1987 reiste O. deshalb erneut nach Israel und nahm im Oktober 1987 an der Universität Jerusalem das ernährungswissenschaftliche Studium auf. Mit Beginn des Studienjahres 1988/89 wechselte O. das Studienfach und die Universität. Sie begann an der Universtität Haifa das Studium der Psychologie mit dem Nebenfach Erziehungswissenschaften. Am 15. Juni 1992 erlangte sie in diesem Studiengang den Abschluß als „Bachelor of Arts” (B.A.). Aufbauend auf diesem Abschluß setzte O. danach ihr Studium mit dem Ziel des Magisterabschlusses (M.A.) fort.
Sowohl in Jerusalem als auch in Haifa wohnte O. A. in einem Mehrbettzimmer eines Studentenwohnheimes. Von der Zahlung von Studiengebühren ist O. in Israel befreit. Ihr Unterhalt wurde im streitbefangenen Zeitraum vom Kläger sichergestellt. Von einer einzigen – zeitlich nicht mehr feststellbaren – Ausnahme abgesehen, hielt sich O. im streitbefangenen Zeitraum jedes Jahr für jeweils zwei bis drei Wochen im Haushalt des Klägers in Offenbach auf. Sie verfügt in der Wohnung des Klägers gemeinsam mit ihrem Bruder D. über...