Entscheidungsstichwort (Thema)
Anerkennung einer Pneumokokkeninfektion als Berufskrankheit nach Nr. 3101 BKV
Orientierungssatz
1. Zur Anerkennung einer Pneumokokkeninfektion als Folge eines Arbeitsunfalls ist der Nachweis erforderlich, dass ein unmittelbarer oder mittelbarer Kontakt zum Erreger während einer Arbeitsschicht stattgefunden hat.
2. Zur Anerkennung eine Infektionskrankheit als Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV ist erforderlich, dass die versicherte Tätigkeit eine abstrakte Gefahrenlage in sich birgt. Hierzu ist die Feststellung einer besonderen, d. h. einer erhöhten Infektionsgefahr unter den konkreten Bedingungen der individuellen Tätigkeit erforderlich. Beweismaßstab ist der Vollbeweis.
3. Eine erhöhte Ansteckungsgefahr ist bei Versicherten anzunehmen, die aufgrund ihrer Tätigkeit oder ihres Arbeitsumfeldes einer Infektionsgefahr in besonderem Maß ausgesetzt sind. Dabei kommt es darauf an, welche einzelnen Arbeitshandlungen im Hinblick auf den Übertragungsweg besonders gefährdend sind.
4. Bisher liegen keine wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber vor, ob Beschäftigte von Kindertagesstätten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein erhöhtes Risiko haben, sich eine Infektion mit Pneumokokken zuzuziehen.
Tenor
I. |
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Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 21. September 2010 wird zurückgewiesen. |
II. |
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Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. |
III. |
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Die Revision wird nicht zugelassen. |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob eine Infektion mit dem Bakterium Streptococcus pneumoniae als Arbeitsunfall und/oder eine Berufskrankheit im Sinne der Nummer 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) festzustellen ist.
Die 1952 geborene Klägerin ist seit 1993 vollschichtig als Leiterin einer Kindertagesstätte in C-Stadt tätig. Ihren Angaben zufolge werden dort ca. 100 Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren betreut. Die Klägerin leitet ein Team von 13 bis 15 Mitarbeitern, die pro Woche die 50-stündige Öffnungszeit der Kindertagesstätte im Schichtdienst abdecken. Die Klägerin ist mit Leitungsaufgaben, Mitarbeiterführung, Entwicklung und Umsetzung pädagogischer Konzepte sowie administrativen Aufgaben beschäftigt, zu 25 % hat sie auch Gruppendienst zu verrichten. Die Kindertagesstätte ist ca. 9 km von der Wohnung, die die Klägerin allein bewohnt, entfernt, für den Weg zur Arbeit benutzt die Klägerin ihr eigenes Auto.
Vom 7. März 2005 bis 22. März 2005 war die Klägerin stationär in der neurologischen Klinik der D-Kliniken in Wiesbaden aufgenommen. Es wurde eine Pneumokokken-Meningitis bei Otitis media links diagnostiziert. Im Entlassungsbericht vom 22. März 2005 wird zum Aufnahmeanlass ausgeführt, vorher habe bereits ein grippaler Infekt über 2 Wochen bestanden, der sich zuletzt zurückgebildet habe, die Klägerin habe jetzt nur noch Schnupfen. Davor sei Sekret aus dem linken Ohr geflossen. Fieber habe erst seit der Nacht vor der Aufnahme bestanden. Seit Freitag seien sich langsam steigernde Kopfschmerzen aufgetreten. Am Montag, dem Aufnahmetag, sei die Klägerin morgens zusammengeklappt.
Mit Schreiben vom 8. Dezember 2005 erstattete der HNO-Arzt D. bei der Beklagten eine Berufskrankheitenanzeige und gab an, die Klägerin habe sich die Pneumokokkeninfektion in der Kindertagesstätte der Gemeinde C-Stadt zugezogen. Die Klägerin gab in einem Schreiben vom 17. Oktober 2005 an, sie führe die Ansteckung auf ihre Tätigkeit in der Kindertagesstätte zurück. In der Zeit von Januar bis März 2005 seien sehr viele Kinder an diesem Erreger erkrankt gewesen und sie habe sich angesteckt. Auf Nachfrage der Beklagten bei der Gemeindeverwaltung C-Stadt, ob es in der Zeit von Januar bis März 2005 an Meningitis erkrankte Kinder oder Mitarbeiter in der Kindertagesstätte gegeben habe, teilte Verwaltungsoberrat E. am 21. Februar 2006 telefonisch mit, in diesem Zeitraum seien mehrere Kinder an Mittelohr- und Lungenentzündung erkrankt gewesen, Kolleginnen der Klägerin seien nicht erkrankt. Die in der Kindertagesstätte tätige Erzieherin F. teilte der Beklagten auf Anfrage mit, von Januar bis März 2005 seien 32 Kinder an einer Pneumokokkeninfektion erkrankt gewesen, davon 28 an Mittelohrentzündung und 4 an Lungenentzündung. Ergänzend führte sie aus: “32 von 38 betreuten Kindern waren demnach an einer Pneumokokkeninfektion erkrankt, die dann auch die Ursache für die Pneumokokkeninfektion mit anschließender Meningitis von Frau A. war.„
Der Oberarzt der medizinischen Klinik am Krankenhaus N. Dr. G., den die Beklagte um eine ausführliche Stellungnahme zum Zusammenhang nach Aktenlage gebeten hatte, empfahl in einer Stellungnahme vom 30. Juni 2006 weitere Ermittlungen mit Beiziehung der Krankenakte der Klägerin von den D-Kliniken, die Beiziehung der arbeitsmedizinischen Untersuchungsbefunde der Klägerin und eine Klärung der Frage, ob von der Klägerin betreute Kinder nachweislich in dem in Betracht kommenden Zeitraum an einer Pneumokokkeninfektion erkrankt waren. Verwaltungsoberrat E. tei...