Entscheidungsstichwort (Thema)
Höhe des Arbeitslosengeldes. Leistungsgruppe A. Leistungsgruppe E. Lohnsteuerklasse I. Lohnsteuerklasse VI. steuerliche Belastung vor Entstehung des Anspruches. Mehrfachbeschäftigung. Steuerkarte. Steuerkartenaustausch
Leitsatz (amtlich)
1. Arbeitslosengeld ist nur dann gemäß § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchstabe e AFG nach der Leistungsgruppe E, also unter Zugrundelegung der Lohn-Steuerklasse VI zu bemessen, wenn der Arbeitslosengeldempfänger neben dem Leistungsbezug noch lohnsteuerpflichtiges Entgelt aus anderen Arbeits- oder Dienstverhältnissen, die den Leistungsanspruch dem Grunde nach nicht berühren, bezieht und dieses Entgelt nach einer anderen als der Lohnsteuerklasse VI versteuert wird.
2. Hat der Arbeitslose vor Entstehung seines Arbeitslosengeldanspruches danach sowohl Arbeitsentgelt erzielt, das nach der Lohnsteuerklasse I versteuert wurde, als auch solches aus einem weiteren Arbeits- oder Dienstverhältnis, das entsprechend § 38 b EStG nach der Lohnsteuerklasse VI versteuert worden ist, ist das ihm zu gewährende Arbeitslosengeld entsprechend § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a AFG somit nach der Leistungsgruppe A, also unter Zugrundelegung der günstigeren Lohnsteuerklasse I zu bemessen, wenn der Arbeitslose entweder überhaupt kein lohnsteuerpflichtiges Arbeitsentgelt mehr erzielt oder nur noch den Arbeitslosengeldanspruch selbst unberührt lassendes Arbeitsentgelt, das nach der Lohnsteuerklasse VI versteuert wird.
3. Dies gilt nicht nur, wenn beide Arbeitsverhältnisse gleichzeitig enden, sondern generell auch dann, wenn der Arbeitslose in dem die Arbeitslosigkeit begründenden Arbeitsverhältnis die Steuerkarte verwendet hat, in der die Steuerklasse VI eingetragen war, er also nach Beendigung des „ersten” Arbeits- oder Dienstverhältnisses einen Austausch der Steuerkarten unterlassen und damit unmittelbar vor Entstehung des Arbeitslosengeldanspruches allein noch nach der für ihn ungünstigeren Lohnsteuerklasse VI zu versteuerndes Arbeitsentgelt bezogen hat. Dies rechtfertigt sich u.a. daraus, daß § 111 Abs. 2 AFG die Funktion hat, dem Arbeitslosen einen angemessenen Ersatz für den Ausfall zu leisten, den er dadurch erleidet, daß er gegenwärtig keinen tariflich bezahlten Arbeitsplatz findet und es dabei der Absicht des Gesetzes entspricht, Arbeitslosengeld nicht nur nach der Leistungsgruppe zu zahlen, die der steuerlichen Belastung vor der Arbeitslosigkeit entsprach, sondern durch das Arbeitslosengeld auch einen bestimmten Prozentsatz des Nettolohnes zu ersetzen, den der Arbeitslose erzielen würde, falls er eine neue Beschäftigung aufnehmen würde. Insoweit wäre aber das Arbeitsentgelt, das ein arbeitsloser, ehemals Mehrfachbeschäftigter aus einer seine Arbeitslosigkeit beendenden Beschäftigung erzielen würde, nicht nach der Lohnsteuerklasse VI, sondern nach der Lohnsteuerklasse I zu versteuern.
4. Die Praxis der Bundesanstalt, trotz unterlassenem Austausch der Steuerkarten in diesen Fällen die Steuerklasse VI nur dann unberücksichtigt zu lassen, wenn das aus der „zweiten” Beschäftigung erzielte lohnsteuerpflichtige Arbeitsentgelt höher war, als das aus der „ersten” Beschäftigung, ein Steuerkartenaustausch also insoweit als an sich zweckmäßig unterstellt wird, wird der vorstehend beschriebenen Funktion des § 111 Abs. 2 AFG selbst nicht gerecht.
5. Selbst wenn man aber mit der Bundesanstalt allein auf die steuerlichen Verhältnisse des Arbeitslosen vor Entstehung seines Arbeitslosengeldanspruches abstellen würde, sind nicht lediglich die unmittelbar vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bestandenen Verhältnisse maßgebend, sondern entsprechend der Funktion des Arbeitslosengeldes, dem Arbeitslosen auch einen Teil des im Bemessungszeitraum erzielten Nettolohnes zu ersetzen, die steuerlichen Verhältnisse in diesem Zeitraum. Hat der Arbeitslose danach im Bemessungszeitraum sowohl Arbeitsentgelt nach der Steuerklasse I als auch nach der Steuerklasse VI bezogen und hat dabei das nach der Steuerklasse I zu versteuernde Arbeitsentgelt das nach der Steuerklasse VI zu versteuernde insgesamt überstiegen, ist das Arbeitslosengeld auch danach nach der Leistungsgruppe A zu bemessen.
Normenkette
AFG § 111 Abs. 2, § 112 Abs. 1, 3, § 113 Abs. 1; EStG § 38b
Verfahrensgang
SG Kassel (Urteil vom 10.04.1991; Aktenzeichen S-5/Ar-1542/89) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. April 1991 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten der Berufungsinstanz zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das dem Kläger ab dem 28. August 1989 gezahlte Arbeitslosengeld nach der Leistungsgruppe E oder – wie vom Kläger geltend gemacht – nach der Leistungsgruppe A zu bemessen ist.
Der am 4. März 1942 geborene Kläger, der von Beruf Schauspieler ist, meldete sich am 28. August 1989 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Zuvor hatte er sich laut Arbeitsbescheini...