Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenzahlung nach dem Tod des Leistungsberechtigten. Überweisungen eines gesetzlichen Betreuers vom Konto des verstorbenen Betreuten in Unkenntnis von dessen Tod. Rückforderungsanspruch. Verfügender. Vertreter. Bösgläubigkeit
Leitsatz (amtlich)
Der gesetzliche Betreuer eines Versicherten, der in Unkenntnis von dessen Tod Überweisungen von dessen Konto tätigt, ist nicht Verfügender im Sinne von § 118 Abs 4 S 1 SGB VI und deshalb dem Rentenversicherungsträger nicht zur Erstattung von Geldleistungen verpflichtet, die nach dem Tod des Versicherten zu Unrecht erbracht worden sind.
Normenkette
SGB VI § 118 Abs. 4; BGB § 1698a Abs. 1 S. 1, § 1893 Abs. 1, § 1908i
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26. Februar 2013 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 844,66 EUR festgesetzt.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung zu Unrecht gezahlter Rentenleistungen.
Die als Rechtsanwältin tätige Klägerin wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Fritzlar - Betreuungsgericht - vom 1. Juni 2010 zur Betreuerin des Versicherten B. für die Aufgabenbereiche Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge sowie Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post bestellt (Az. 10 XVII 857/09). Dies zeigte sie mit Schriftsatz vom 21. Juni 2010 der Beklagten an.
Der Versicherte bezog von der Beklagten seit dem 1. Dezember 1993 Altersrente für langjährig Versicherte, die zuletzt auf sein bei der D. Landesbank (D-Bank) geführtes Konto überwiesen wurde. Der Versicherte verstarb am 28. Oktober 2010.
Am 29. Oktober 2010 wurde dem Konto des Versicherten, das zuvor ein Soll von 2.943,40 EUR aufwies, ein Rentenbetrag von 895,68 EUR gutgeschrieben. Noch am selben Tag überwies die Klägerin Beträge von 144,47 EUR (Buchungsvorgang: "X. Rechtsanwalt") und 712,81 EUR (Buchungsvorgang: "C.") vom Konto des Versicherten.
Am 1. November 2010 unterrichtete die Tochter des Versicherten die Klägerin telefonisch über dessen Tod, die ihrerseits die Beklagte hiervon noch am selben Tag in Kenntnis setzte.
Mit Schreiben vom 23. November 2010 erklärte die D-Bank gegenüber der Beklagten, dass sie nur eine Teilrückzahlung von 39,48 EUR leisten werde, da das Konto des Versicherten nicht ausreichend gedeckt gewesen sei.
Mit Schreiben vom 7. Februar 2011 hörte die Beklagte die Klägerin zu einer beabsichtigten Rückforderung von 844,66 EUR an. Die Klägerin sei als Verfügende zur Rückzahlung verpflichtet.
Hierauf antwortete die Klägerin mit Schriftsatz vom 18. Februar 2011, dass mit dem Tod des Versicherten das Betreuungsverhältnis und ihre Vertretungsmacht geendet hätten. Das Vermögen des Versicherten sei auf dessen Erben übergegangen.
Mit Bescheid vom 3. März 2011 forderte die Beklagte einen Betrag von 844,66 EUR von der Klägerin zurück.
Hiergegen erhob die Klägerin mit Schriftsatz vom 7. März 2011 Widerspruch, indem sie die Beklagte vorrangig auf eine Inanspruchnahme der Erben, die leiblichen Kinder des Versicherten (E. B. und F. G.) verwies. Sie habe erst am 1. November 2010 vom Tod des Versicherten erfahren. Der Betreuer dürfe die Geschäfte solange fortführen, bis er Kenntnis von der Beendigung der Betreuung habe oder er die Beendigung hätte kennen müssen. Hierdurch werde eine Haftung des Betreuers ausgeschlossen. Sie habe daher wirksam die beiden Banküberweisungen von dem Konto des Versicherten vornehmen können.
Durch Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin sei Verfügende, auch wenn die Betreuung mit dem Tod des Versicherten geendet habe. Über den Tod hinaus bestünden noch nachgehende Rechte und Pflichten des Betreuers. Alles, was der Betreuer nach dem Tod des Betreuten unternehme, bleibe wirksam, solange er vom Tod des Betreuten nicht wisse und auch nicht wissen müsse. Es sei nicht maßgeblich, in welcher Eigenschaft der Verfügende tätig geworden sei.
Mit ihrer am 20. Juli 2011 vor dem Sozialgericht Kassel erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung trug sie vor, dass mit dem Tod des Versicherten das Betreuungsverhältnis endete. In diesem Zeitpunkt seien das Vermögen und die sonstige Vertretungsmacht auf die Erben übergegangen. Die Betreuung endete, ohne dass sie hiervon gewusst habe. Ihre Haftung sei ausgeschlossen, weil sie ihre Aufgabe als Betreuerin ordnungsgemäß wahrgenommen habe. Die Vertretungsmacht habe solange fortbestanden, bis sie vom Tod des Versicherten Kenntnis erlangt habe.
Demgegenüber erwiderte die Beklagte, dass eine Inanspruchnahme von kontobevollmächtigten Personen als Verfügende möglich sei. Die Klägerin sei zumindest zeichnungsberechtigt gewesen und somit als kontoverfügungsberechtigte Person anzusehen. Ihre fehlende Kenntnis vom Tod des Versicherten oder der daraus resultierenden Rentenüberzahlung spiele bei...