Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschiedenenwitwenrente. sonstiger Grund. polnischer Unterhaltstitel. sozialrechtlich bedeutsamer Unterhaltsanspruch. Wert der Unterhaltszahlungen in Polen. Deputatkohle. Abänderungsklage vor einem polnischen Gericht
Leitsatz (amtlich)
1. Ein von einem polnischen Gericht zugesprochener Unterhaltsanspruch der nichtschuldig geschiedenen Ehefrau stellt nur dann einen sozialrechtlich bedeutsamen i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 RKG dar, wenn sein Wert, umgerechnet von Zloty in DM in der Bundesrepublik Deutschland 25 v.H. des örtlich und zeitlich maßgeblichen Regelsatzes ohne Aufwendungen für die Unterkunft ausmacht (Anschluß an BSG vom 2. November 1988 – 8/5a RV 6/87 und 23. Februar 1994 – 8 RXn 8/93).
2. Sofern der Unterhaltsanspruch zum Teil in dem Erhalt von Deputatkohle besteht, bemißt sich deren Wert in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Abgabepreis der betreffenden Zeche in Polen.
3. Auch vor einem polnischen Gericht kann eine Abänderung der Unterhaltsverpflichtung erwirkt werden, wobei sich die Höhe des Unterhaltsanspruchs nach polnischem Recht an dem Schuldspruch des Scheidungsurteils und dem Leistungsvermögen des Versicherten zu orientieren hat. Der Unterhaltsanspruch der nichtschuldig geschiedenen Ehefrau kann jedoch höchstens 50 v.H. des Einkommens des schuldig geschiedenen Ehemannes betragen.
Normenkette
SGB VI § 300; RXG § 65
Verfahrensgang
SG Gießen (Urteil vom 15.09.1992; Aktenzeichen S-6/Kn-652/90) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 15. September 1992 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung einer Hinterbliebenenrente an die frühere geschiedene Ehefrau – Geschiedenenwitwenrente –, unter Berücksichtigung polnischen Unterhaltsrechts.
Die am 4. Februar 1930 geborene Klägerin begehrt eine Geschiedenenwitwenrente nach dem am 1. September 1927 geborenen und am 27. November 1987 in Polen verstorbenen T. P. Der Versicherte war polnischer Staatsangehöriger und die Eheschließung erfolgte am 14. Juni 1947 ebenso wie die Scheidung vom 21. Juli 1977 in Polen. In dem Scheidungsurteil des Kreisgerichts Hindenburg vom 29. Juni 1977 wurde der Versicherte für allein schuldig an der Zerrüttung der Ehe befunden. Die Klägerin siedelte am 3. April 1987 in die Bundesrepublik Deutschland über und ist Inhaberin des Vertriebenenausweises „A”. Ausweislich der vom Senat von der ZUS Hindenburg beigezogenen Akte des Versicherten, die aus dem polnischen in die deutsche Sprache übersetzt worden ist, bezog der Versicherte von November 1986 bis Februar 1987 eine Rente in Höhe von 16.860 Zloty inklusive einer Pflegezulage von 2.100 Zloty, von März 1987 bis August 1987 in Höhe von 20.660 Zloty und von September bis Oktober 1987 in Höhe von 23.460 Zloty, ebenfalls inklusive der zuvor erwähnten Pflegezulage. Zum Zeitpunkt der Scheidung bezog er Lohn und eine Bergmannsinvalidenrente. Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Scheidung nicht erwerbstätig. Durch Urteil des Bezirksgerichts Hindenburg vom 8. Februar 1977 wurden ihr Alimente in Höhe von 1.100 Zloty pro Monat ab dem 1. Oktober 1976 sowie eine Tonne Kohle pro Jahr ab 1977 zugesprochen. Nach den eigenen Angaben der Klägerin erhielt sie von November 1986 bis April 1987 monatlich 2.960 Zloty Alimente vom Versicherten. Die Unterhaltszahlungen wurden im Mai 1987 nach der Übersiedlung der Klägerin eingestellt. Seit Mai 1987 bezieht sie in der Bundesrepublik Deutschland Sozialhilfe.
Am 2. Februar 1988 beantragte sie erstmals Leistungen als Hinterbliebene bei der Beklagten. Nachdem die Beklagte anfänglich mit Bescheid vom 11. April 1988 festgestellt hatte, daß ein Hinterbliebenenrentenanspruch nicht bestünde, weil die Ehe nach dem 30. Juni 1977 aufgelöst worden sei, denn das Scheidungsurteil habe erst nach diesem Zeitpunkt, nämlich am 21. Juli 1977 Rechtskraft erlangt, änderte die Beklagte später insoweit ihre Auffassung. Unter Berücksichtigung des Eingliederungsgedankens des „DPSVA” komme es, so heißt es in den Verwaltungsakten, auf den Zeitpunkt des Erlasses des Scheidungsurteils, nämlich den 29. Juni 1977 und nicht auf die Rechtskraft der Entscheidung an. Hierauf wurde die Klägerin, nachdem sie am 20. April 1988 gegen den zuvor benannten Bescheid Widerspruch erhoben hatte, schriftlich hingewiesen. Auf Anraten der Beklagten nahm sie am 29. Juli 1988 den Widerspruch unter der Bedingung der erneuten Überprüfung des Sachverhaltes durch die Beklagte zurück. Die Beklagte hat den Bescheid vom 11. April 1988 im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 26. März 1996 aufgehoben. Mit Bescheid vom 20. November 1989 lehnte die Beklagte dann erneut die Gewährung der beantragten Leistung ab. Zur Begründung führte sie diesmal aus, daß das nacheheliche Unterhaltsrecht der Bundesrepublik Deutschland nicht herangezogen werden könne, da der Ehemann am Todestag seinen Wohnsitz in Polen gehabt habe. Allerdings könne die Unterhalt...